Entscheidungsstichwort (Thema)
Gebot der angemessenen Vergütung. psychotherapeutische Leistung. praktische Ärztin mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie. einheitlicher Bewertungsmaßstab. gerichtliche Überprüfung
Orientierungssatz
1. Dem Gebot der angemessenen Vergütung (hier: psychotherapeutische Leistung) kommt nach Wortlaut und Systematik (lediglich) objektiv-rechtliche, dagegen keine subjektiv-rechtliche und damit für den einzelnen Arzt anspruchsbegründende Bedeutung zu (vgl ua BSG vom 7.2.1996 - 6 RKa 6/95 = SozR 3-5533 Nr 763 Nr 1).
2. Die Berücksichtigung individualisierender Umstände kommt allenfalls in Betracht, wenn eine zu niedrige Vergütung ärztlicher Leistungen das vertragsärztliche Versorgungssystem als Ganzes und als deren Folge die berufliche Existenz der an dem Versorgungssystem teilnehmenden ärztlichen Leistungserbringer gefährdet.
3. Den Gerichten ist es grundsätzlich verwehrt, eine im einheitlichen Bewertungsmaßstab vorgenommene Bewertung als rechtswidrig zu beanstanden, weil sie den eigenen, abweichenden Vorstellungen von der Wertigkeit der Leistungen und der Angemessenheit der Vergütung nicht entspricht.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die ihrer Ansicht nach zu niedrige Vergütung psychotherapeutischer Leistungen.
Die Klägerin ist praktische Ärztin mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie und als solche seit 1984 in B B zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. In Widersprüchen wandte sie sich zusammen mit einer größeren Anzahl psychotherapeutisch tätiger Ärzte und Psychologen zunächst gegen die Honorarabrechnungen für die Quartale III/93, IV/93, II/94 und III/94. Ihr Honorarvolumen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung lag für das Quartal III/94 bei einer Honorarsumme von 43.055,69 DM. Zur Begründung ihrer Widersprüche führte die Klägerin aus: Der Honorarverteilungsmaßstab der Beklagten (HVM) verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Gebot der Verteilungsgerechtigkeit. Er benachteilige die Gruppe von Vertrags-Psychotherapeuten systematisch, indem er strukturelle Unterschiede der von den Psychotherapeuten erbrachten und der übrigen ärztlichen Leistungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen (EBM) nicht ausreichend berücksichtige und insoweit keine Sonderregelung treffe. Der Unterschied liege insbesondere darin, daß es sich bei den psychotherapeutischen Leistungen fast ausschließlich um zuwendungsintensive, nicht vermehrbare und vom behandelnden Psychotherapeuten persönlich zu erbringende Leistungen handele. Hier gehe es im wesentlichen um die Ziffern 865, 875 und 877 EBM. Diese Ziffern seien - völlig atypisch für das System der Vergütung ärztlicher Leistungen - mit festen Zeitvorgaben von jeweils 50 Minuten versehen. Alle anderen Ärztegruppen hätten diese Zeitvorgaben nicht, was ihnen die Möglichkeit eröffne, durch vermehrte Schnelligkeit die Zahl ihrer abrechenbaren Leistungen zu steigern. Diese Möglichkeit werde auch von den übrigen Ärztegruppen in großem Umfang in Anspruch genommen. Sie sei den Psychotherapeuten genommen. Weil ihre Leistungen an den Zeitfaktor gebunden und nicht vermehrbar seien, erhielten die Psychotherapeuten praktisch ein Stundenhonorar; ihr Einkommen werde damit in Abhängigkeit von dem nicht zu beeinflussenden Punktwert fremdbestimmt. Ein weiterer gravierender struktureller Nachteil liege darin, daß die Leistungen durch die persönlich intensive Zuwendung der vollausgebildeten Psychotherapeuten zum Patienten geprägt sei. Eine Delegation sei fast ausnahmslos nicht möglich. Ebenso komme eine Urlaubs- oder Krankheitsvertretung nicht in Betracht. Der Eigenart der psychotherapeutischen Behandlung entspreche auch, daß bei kurzfristigen Absagen der Patienten eine Kompensation durch die Einbestellung anderer Patienten nicht möglich sei. Zudem bestehe ein deutliches Ungleichgewicht zwischen Diagnose und Therapie, da letztere rund 90 % der aufgewendeten Zeit in Anspruch nehme. Im Rahmen der Psychotherapie finde eine ständige, der Behandlung vorausgehende Wirtschaftlichkeitsprüfung der Behandlungsmaßnahmen durch das Antrags- bzw. Gutachterverfahren statt. Folge dieser aufgezeigten Unterschiede sei, daß die Psychotherapeuten mit weitem Abstand am Ende der Einkommensskala der niedergelassenen Vertragsärzte stünden. Sie seien aber nicht weniger qualifiziert oder weniger arbeitsam als andere Arztgruppen. Neben dem Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot liege ein solcher gegen das gesetzliche Gebot einer angemessenen Vergütung ärztlicher Leistungen vor. Sie, die Klägerin, verkenne nicht, daß der EBM grundsätzlich die Vermutung der angemessenen Vergütung für sich habe. Die Beklagte könne jedoch im Rahmen ihrer Satzungsautonomie andere Gesichtspunkte und Umstände berücksichtigen, auch wenn dadurch im Ergebnis von den Bewertungen des EBM abgewichen werde. Das gelte um so mehr, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Vergütung einer Minderheit in der Ärzteschaft in Frage stünde. Hier gerate der Minderheitenschutz in Gefahr. Die fehlende Angem...