Entscheidungsstichwort (Thema)
Künstlersozialversicherung. selbständige künstlerische Tätigkeit im Bereich der Videokunst und Fotografie. vorausschauende Einkommensschätzung. keine dauerhafte wirtschaftliche Existenzgrundlage. keine soziale Schutzbedürftigkeit durch das KSVG. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Wer die künstlerische Tätigkeit in einer Art und Weise ausübt, die aufgrund der herrschenden Marktbedingungen von vornherein verhindert, dass dadurch dauerhaft eine wirtschaftliche Existenzgrundlage geschaffen wird, bedarf des sozialen Schutzes durch das KSVG nicht.
2. Insbesondere aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit des Art 5 Abs 3 GG lässt sich nicht die Pflicht des Staates ableiten, unabhängig von der eigenen Verantwortlichkeit eines Künstlers für dessen wirtschaftliche Existenz ein umfassendes soziales Schutzsystem zu gestalten. Der Besonderheit, dass Einkommen aus selbständiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit großen Schwankungen unterliegen kann, wird durch die gesetzlichen Regelungen in § 3 KSVG hinreichend Rechnung getragen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 11. November 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Feststellung von Versicherungsfreiheit nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).
Die 1962 geborene Klägerin studierte an der Akademie für bildende Künste in M. und schloss das Hochschulstudium in einer Klasse für Malerei und Grafik im Juni 1990 erfolgreich ab. Seither ist sie auf den Gebieten Videokunst und Fotografie künstlerisch tätig. Mit Bescheid vom 2. Mai 1995 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung ab 15. November 1994 fest. Im Jahre 2009 führte sie eine Überprüfung der Einkommenssituation der Klägerin durch. In ihrer Erklärung vom 28. November 2009 gab die Klägerin voraussichtliche Jahreseinkünfte für 2008 von 4.500,00 EUR, für 2009 von 8.000,00 EUR und für 2010 von 9.000,00 EUR an. Nachdem die von der Klägerin eingereichten Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2007 ausnahmslos Verluste aus freiberuflicher Tätigkeit für sie aufwiesen, stellte die Beklagte nach Anhörung mit Bescheid vom 12. Januar 2010 ab 1. Februar 2010 die Versicherungsfreiheit der Klägerin fest. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass die sozialversicherungsrechtliche Geringfügigkeitsgrenze des § 3 KVSG nicht überschritten werde. Die Vorauseinschätzung der Jahreseinkünfte für 2008 bis 2010 erscheine unter Berücksichtigung des tatsächlich erzielten Einkommens in den Vorjahren nicht plausibel. Tatsachen, die eine deutliche Steigerung des Einkommens erwarten ließen, seien nicht ersichtlich.
Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass es für Künstler stets Zeiten negativer wirtschaftlicher Ergebnisse gebe, die sich jederzeit ändern könnten. Sie wies auf den Erfolg ihrer Kunst unter Fachkollegen, in Museumskreisen und am Markt hin. Sie habe für 2009 die Zusage der K. Stiftung in S. für ein Arbeitsstipendium in Höhe von 5.000,00 EUR. Für 2011 sei sie von der zuständigen Kommission im Land Schleswig-Holstein als Stipendiatin für die V. M. in R. vorgeschlagen. Die Klägerin legte den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vor, der wiederum einen Verlust aus ihrer freiberuflichen Tätigkeit auswies und die Gewinnermittlung für das Jahr 2009 mit einem voraussichtlichen Verlust von 3.312,65 EUR.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nachdem nunmehr in sechs aufeinander folgenden Jahren ausschließlich Verluste aus der freiberuflichen Tätigkeit erzielt worden seien, erscheine eine positive Einkommenserwartung für das Jahr 2010 nicht plausibel.
Die Klägerin hat am 12. Juli 2010 Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend darauf hingewiesen, dass die Beklagte nicht sämtliche Besonderheiten ihrer beruflichen Situation bei der Schätzung des Einkommens berücksichtigt habe. Zudem müsse der Schutzzweck des KSVG berücksichtigt beachtet werden, der darin liege, Künstlern einen umfassenden Sozialversicherungsschutz einzuräumen. Sie hat im Eilverfahren S 3 KR 731/10 ER Unterlagen über ihre bisherige Tätigkeit vorgelegt und geltend gemacht, aufgrund laufender Projekte und Verkaufsverhandlungen sei jederzeit ein Erlös durch Verkauf von Kunstwerken in fünfstelliger Höhe möglich. Anlässlich der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2010 hat sie vorgebracht, sie stehe in konkreten Verkaufsverhandlungen mit einer kirchlichen Institution über ihr Werk “M.„. Es werde über einen Kaufpreis von 24.000,00 EUR verhandelt. Es würden auch Gespräche über verschiedene Ausstellungen an unterschiedlichen Ausstellungsorten geführt.
Die Klägeri...