Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei einem Presseerzeugnis- und Spendenwerber
Orientierungssatz
1. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis unter einer Weisungsgebundenheit verrichtet wird und eine Eingliederung in einen fremden Betrieb vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
2. Hat ein für ein Werbeunternehmen tätiger Presseerzeugnis- und Spendenwerber keinen Einfluss auf die von ihm angebotenen Produkte und deren Preise, auch nicht auf die Planung und Organisation der Stände, hat er eigene Arbeitsmittel oder Betriebskapital nicht einzusetzen, ist er zur täglichen Meldung von Aufträgen verpflichtet, ist er ausschließlich für seinen Auftraggeber tätig und hat er im Krankheitsfall nicht für Ersatz zu sorgen, so ist von dem Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.
3. Dem widerspricht nicht der Abschluss eines Handelsvertretervertrags, die Zahlung von Provision anstelle eines festen Gehalts, die Anmeldung eines Gewerbes sowie das Fehlen eines Lohnfortzahlungsanspruchs im Krankheitsfall und von bezahltem Urlaub.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 11. November 2016 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 163.157,93 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den sozialversicherungsrechtlichen Status von 46 für die Klägerin im Zeitraum von September 1999 bis März 2005 tätigen Presseerzeugnis- und Spendenwerbern.
Gegenstand des Unternehmens der Klägerin war im streitbefangenen Zeitraum laut Handelsregistereintragung die Werbung für Zeitschriften und deren Vertrieb. Sie selbst war im Auftrag des A..., M..., tätig. Geworben wurden Abonnenten für die Presseerzeugnisse aller großen Verlagshäuser (Illustrierte, Fernsehzeitschriften, Fachzeitschriften usw.). Zur Belieferung und Verwaltung der Abonnenten wurden die Aufträge im norddeutschen Bereich an die P... GmbH & Co KG (Pa...) mit Sitz in S... gegeben. Die Klägerin erhielt eine monatliche Abrechnung für die durch sie geworbenen Abonnenten. Darüber hinaus umfasste ihr Tätigkeitsbereich die Anwerbung von Mitgliedern für den Aa... (Ab...) und das U... im Auftrag der Ac... GmbH in H.... Diese erfolgte an festen Ständen in Einkaufszentren etc. Die Anmeldung der Stände erfolgte durch die Klägerin. Die Klägerin erhielt Abschlussprovisionen, deren Höhe sich nach der Höhe des ersten Jahresbeitrags des geworbenen Mitgliedes richtete.
Die Klägerin meldete nur den Ehemann ihrer Geschäftsführerin dauerhaft zur Sozialversicherung an. Andere für sie tätige Personen wurden nur einzeln meist für kurze Zeiträume als versicherungspflichtig Beschäftigte angemeldet. Für diese wurden jeweils nur Bürotätigkeiten abgerechnet.
Zur Erfüllung ihrer eigenen Vertragspflichten beauftragte die Klägerin diverse Presseerzeugnis-, Mitglieder- und Spendenwerber, die sie bzw. der A... für sie über Zeitungsanzeigen oder über einen „Headhunter“ anwarb, der gezielt geeignete Personen u.a. im Bereich des H...er Hauptbahnhofs oder vor Arbeitsämtern ansprach. Bei ihrer Anwerbung unterschrieben die Werber für die Zeit der Einarbeitung einen Personalbogen und eine vorläufige Vereinbarung über die Tätigkeit als Pressevertriebsagent. Danach sollte der Bewerber als selbstständiger Handelsvertreter gemäß §§ 84 ff. Handelsgesetzbuch (HGB) tätig werden. Die Klägerin verpflichtete sich, den Bewerber für seine neue Aufgabe zu schulen und einzuarbeiten. Nach erfolgreicher Einarbeitung sollte der Bewerber einen Vertrag als Pressevertriebsagent erhalten. Während der Einarbeitungszeit von zwei Wochen waren viele Werber am Firmensitz der Klägerin in G... K... bei freier Kost und Logis untergebracht. Danach hatten sie Miete zu zahlen und mussten ihre Verpflegungskosten selbst bestreiten. Es wurde ein Handelsvertretervertrag geschlossen, der u.a. folgende Vereinbarungen beinhaltete:
„§ 1 Rechtliche Stellung des Handelsvertreters
1. Der Handelsvertreter ist selbständiger Handelsvertreter i.S.d. § 84 I HGB. Er ist berechtigt, im wesentlichen frei seine Tätigkeit zu gestalten und seine Arbeitszeit zu bestimmen. Die Kosten und Risiken seiner Geschäftstätigkeit trägt der Handelsvertreter selbst, soweit dieser Vertrag keine von diesem Grundsatz abweichende Regeln enthält. Vorsorge für Einnahmenverluste im Krankheitsfall oder während eines Urlaubs trifft der Handelsvertreter auf eigene Kosten.
2. Der Handelsvertreter hat seine Dienste grundsätzlich persönlich zu leisten. Die Bestellung vo...