Entscheidungsstichwort (Thema)

Inanspruchnahme wegen Rechtsanwaltskosten des Gegners trotz PKH-Bewilligung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Staatskasse ist mit Rücksicht auf § 123 ZPO nicht gehindert, die auf sie nach § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG übergegangenen Ansprüche des beigeordneten Rechtsanwalts aus § 126 ZPO gegen den unterlegenen Gegner geltend zu machen, auch wenn Letzterem ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. § 123 ZPO wird auch nicht durch § 122 Abs. 1 Nr. 1 lit. b ZPO eingeschränkt.

 

Normenkette

ZPO § 122 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, §§ 123, 126; RVG § 59 Abs. 1, 1 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Schleswig (Aktenzeichen 92 F 82/08)

 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Das AG - Familiengericht - Schleswig hatte den beiden Klägern und der Beklagten jeweils ratenfreie Prozesskostenhilfe für eine Unterhaltsklage bewilligt. Die Klage wurde abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits wurden dem Kläger zu 1) zu 54 % und der Klägerin zu 2) zu 46 % auferlegt.

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat aus der Landeskasse eine Vergütung i.H.v. 804,44 EUR erhalten. Dieser Betrag wird aus übergegangenem Recht von der Landeskasse bei den Klägern nach dem Verhältnis ihres Unterliegens eingezogen.

Die Kläger haben sich dagegen mit der Auffassung beschwert, ihre Inanspruchnahme scheide wegen der Bewilligung ratenfreier Prozesskostenhilfe aus.

Rechtspflegerin und Richter haben dem Rechtsbehelf als Erinnerung bzw. Beschwerde nicht abgeholfen.

Die gem. §§ 59 Abs. 2 Satz 4 RVG, 66 Abs. 2 u. 3 GKG zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Der Senat, der für die Kostenangelegenheiten in Familiensachen zuständig ist, hält an der im Jahre 1991 geäußerten Auffassung (JurBüro 1991, 1207) fest, dass die Staatskasse nicht gehindert ist, die auf sie nach § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG (früher: § 130 BRAGO) übergegangenen Ansprüche des beigeordneten Rechtsanwalts aus § 126 ZPO gegen den unterlegenen Gegner geltend zu machen, auch wenn Letzterem ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Das folgt aus § 123 ZPO, der bestimmt, dass die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf die Verpflichtung, die dem Gegner entstandenen Kosten zu erstatten, keinen Einfluss hat; die Wirkungen der bewilligten Prozesskostenhilfe sind danach auf die Gerichtskosten und die eigenen außergerichtlichen Kosten der Partei beschränkt.

Mit der wohl überwiegenden Auffassung (vgl. die Übersicht bei Zöller/Philippi, 27. Aufl., Rz. 6 zu § 122 ZPO) ist davon auszugehen, dass diese eindeutige Regelung auch nicht durch § 122 Abs. 1 Nr. 1b ZPO eingeschränkt wird. Zwar bewirkt die Bewilligung der Prozesskostenhilfe danach, dass die Staatskasse die auf sie übergegangenen Ansprüche der beigeordneten Rechtsanwälte gegen die Partei nur nach den Bestimmungen, die das Gericht trifft - d.h., nur bei Anordnung der Zahlung von Raten oder aus dem Vermögen - gegen die Partei geltend machen kann. Der Anspruch des der einen Partei beigeordneten Rechtsanwalts gegen den unterlegenen Prozessgegner ist aber kein Anspruch "gegen die Partei". Auch stehen weder die Gesetzesmaterialien noch die Entscheidung des BVerfG in FamRZ 2000, 474 der Geltendmachung entgegen (vgl. BGH MDR 1997, 887; OLG Oldenburg, FamRZ 2009, 633; OLG Koblenz, FamRZ 2008, 805, unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung; OLG Nürnberg, FamRZ 2008, 803; OLG Zweibrücken OLGReport Zweibrücken 2008, 658; OLG Karlsruhe FamRZ 2005, 2002; OLG Köln FamRZ 2004, 37; KG MDR 1988, 420; OLG Düsseldorf Rpfleger 1986, 448; Baumbach/Lauterbach, 67. Aufl., Rz. 4 a.E. zu § 123 ZPO; MünchKomm/Motzer, 3. Aufl., Rz. 1 zu § 123 ZPO und Rz. 13 zu § 122 ZPO; Wieczorek/Schütze, 3. Aufl., Rz. 7 zu § 122 ZPO; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., Rz. 6 zu § 59 RVG).

Die Argumente der Gegenauffassung (neben Zöller/Philippi, a.a.O., OLG München FamRZ 2001, 1156; OLG Braunschweig, JurBüro 1990, 509; OLG Stuttgart, Justiz 1986, 42; OLG Hamburg, JurBüro 1985, 612; Musielak/Fischer, 6. Aufl., Rz. 5 zu § 122 ZPO; Bork in Stein/Jonas, 22. Aufl., Rz. 8 zu § 122 ZPO; Reichold in Thomas/Putzo, 29. Aufl., Rz. 1 zu § 122 ZPO; im Ergebnis auch Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl., Rz. 806, aus dem Gesichtspunkt einer Sozialhilfepflicht des Staates ggü. dem erstattungspflichtigen Gegner - diesen Gesichtspunkt verlagert Motzer, a.a.O., in die praktische Frage, ob der Anspruch von Seiten der Staatskasse wegen Aussichtslosigkeit überhaupt geltend gemacht werden sollte) überzeugen nicht.

Soweit Vertreter dieser gegenteiligen Auffassung aus dem in § 122 Abs. 1 Nr. 1b ZPO verwendeten Plural "Rechtsanwälte" den Schluss ziehen, dass die Regelung auch den Kostenerstattungsanspruch des gegnerischen Rechtsanwalts betreffe (etwa Zöller/Philippi, a.a.O.), ist das nicht zwingend, da einer Partei in Gestalt eines Verkehrsanwalts gem. § 121 Abs. 4 ZPO auch mehr als ein Rechtsanwalt beigeordnet werden kann (vgl. OLG Oldenburg, a.a.O.).

Soweit mit den Gesetzesmaterialien in Gestalt des Regierungsentwurfs vom 17.7.1979 (BT-Drucks, 8/3086 S. ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge