Entscheidungsstichwort (Thema)
Spätestens ab Mitte 2018 war allgemein bekannt war, dass auch Dieselmotoren des Herstellers Mercedes-Benz von dem Verbau unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen waren. Ein Käufer, der ab diesem Zeitpunkt ein schon vor 2016 zugelassenes gebrauchtes Mercedes-Dieselfahrzeug erworben hat, hat deshalb keinen kausalen Schaden mehr erlitten.
Leitsatz (amtlich)
1. Bis zur Entscheidung des EuGH vom 17.12.2020 (Az. C-693/18) durften europäische Fahrzeughersteller noch davon ausgehen, dass die Motorsteuerung mit einem weiten Thermofenster aus Gründen des Motor- oder Bauteilschutzes zulässig ist (= weite Auslegung von Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a VO 715/2007/EG). Insoweit befanden sie sich in einem unvermeidlichen Rechtsirrtum, da bis dahin zum einen nahezu alle europäischen Hersteller ihre Dieselfahrzeuge mit einem Thermofenster ausgerüstet hatten und die Rechtmäßigkeit - trotz umfangreicher Untersuchungen - von den zuständigen Überwachungsbehörden auch nicht beanstandet wurde.
2. Ein kausaler Schaden liegt nicht vor, wenn die Käufer generell um die Problematik des Thermofensters wussten und gleichwohl ein potentiell schon vor Bekanntwerden des Abgasskandals zugelassenes, gebrauchtes Dieselfahrzeug erworben haben.
3. Spätestens ab Mitte 2018 war allgemein bekannt war, dass auch Dieselmotoren des Herstellers Mercedes-Benz von dem Verbau unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen waren. Ein Käufer, der ab diesem Zeitpunkt ein schon vor 2016 zugelassenes gebrauchtes Mercedes-Dieselfahrzeug erwarb, konnte aufgrund der umfangreichen Berichterstattung und der zahlreichen Rückrufe in den Jahren zuvor nicht mehr sicher davon ausgehen, dass das gekaufte Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung aufweisen würde. Wer ab Mitte 2018 ein älteres Fahrzeug mit Diesel-Antrieb erwarb, nahm deshalb wissentlich ein gewisses Risiko in Kauf, das sich realisieren konnte (vgl. OLG Schleswig, Hinweisbeschluss vom 25.10.2022, 17 U 100/22).
Normenkette
BGB §§ 31, 823, 826; EGV 715/2007 Art. 5 Abs. 2 S. 2a
Verfahrensgang
LG Kiel (Urteil vom 07.07.2022; Aktenzeichen 6 O 335/21) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 7. Juli 2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kiel, Aktenzeichen 6 O 335/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Kiel ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund dieser Entscheidung vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 30.435,33 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt den beklagten Autohersteller aus abgetretenem Recht auf schadenersatzrechtliche Rückabwicklung eines Gebrauchtwagenkaufes im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal in Anspruch.
Die S.- KG, deren Geschäftsführerin die Klägerin ist, kaufte am 19. Juli 2018 bei der A- KG in K. einen Mercedes-Benz V 250 d Edition lang als Gebrauchtfahrzeug (EZ: 23.06.2015, Kilometerstand 43.038) zum Preis von 37.000 EUR (brutto).
In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor vom Typ OM 651 der Beklagten verbaut, es unterliegt der Euro-6-Norm. Zur Abgasreduktion verfügt das klägerische Fahrzeug zum einen über eine innermotorische Abgasrückführung (AGR), wobei die Rate der Abgasrückführung u.a. außentemperaturabhängig ist (sog. Thermofenster). Weiterhin verfügt das Fahrzeug über einen SCR-Katalysator (Selective Catalytic Reduction), in dem durch Zuführung einer wässrigen Harnstofflösung (AdBlue) umweltschädliche Stickoxide in Stickstoff und Wasser umgewandelt werden.
Es ist von einem - nicht bestandskräftigen - Pflichtrückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) vom 23.05./03.08.2018 betroffen. Ein von der Beklagten daraufhin entwickeltes Software-Update wurde vom KBA am 12.09.2018 freigegeben und ist auf dem klägerischen Fahrzeug aufgespielt worden.
Weiterhin ist in dem Fahrzeug eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) verbaut, die unter bestimmten Betriebsbedingungen dafür sorgt, dass sich der "große Kühlkreislauf" bereits bei einer Kühlmitteltemperatur von 70 °C öffnet.
Die Mercedes-Benz Bank AG finanzierte den Kauf durch ein Darlehen mit einem Nettodarlehensbetrag von 27.000,00 EUR und Zinskosten in Höhe von 1.672,80 EUR. Die Bank legt ihren Darlehensverträgen mit Fahrzeugerwerbern regelmäßig - und so auch im Fall der Klägerin - Darlehensbedingungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen (Anl. K1, im Folgenden: "AGB") zugrunde, die unter Ziff. II. neben der Sicherungsübereignung des finanzierten Fahrzeugs die Stellung unter anderem weiterer Sicherheiten vorsehen. Konkret heißt es:
"Der Darlehensnehmer räumt der Bank zur Sicherung aller gegenwärtigen und bis zur Rückzahlung des Darl...