Entscheidungsstichwort (Thema)
Bei der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) in Mercedes-Benz Dieselfahrzeugen mit OM 651, Euro 5 Motor ohne Pflichtrückruf des KBA und freiwilligem Software-Update fehlt es für eine deliktische Haftung des Herstellers am notwendigen Verschulden, weil insoweit ein unvermeidbarer Verbotsirrtum in Form einer hypothetischen Genehmigung des KBA vorliegt.
Leitsatz (amtlich)
1. Beim Thermofenster in Mercedes-Benz Dieselfahrzeugen fehlt es für eine deliktische Haftung des Herstellers am notwendigen Verschulden, weil insoweit ein unvermeidbarer Verbotsirrtum in Form einer hypothetischen Genehmigung des KBA vorliegt (Anschluss an OLG Schleswig, Urteil vom 10.10.2023, Az. 7 U 100/22, juris).
2. Bei der Kühlmittel- Solltemperatur- Regelung (KSR) in Mercedes-Benz Dieselfahrzeugen mit OM 651, Euro 5 Motor ohne Pflichtrückruf des KBA und freiwilligem Software-Update fehlt es am notwendigen Verschulden des Herstellers, weil auch insoweit ein unvermeidbarer Verbotsirrtum in Form einer hypothetischen Genehmigung des KBA vorliegt.
3. In den Fallgruppen der tatsächlichen oder hypothetischen Genehmigung einer Abgasreinigungs-Abschalteinrichtung (hier KSR) durch das zuständige KBA erfordert die schlüssige Darlegung eines Irrtums nicht zwingend personenbezogene Ausführungen dazu, welches konkrete Vorstellungsbild die mit den Fragen der Emissionskontrolle befassten Repräsentanten des Herstellers bezüglich der Zulässigkeit hatten und welche gesellschaftsinternen Kommunikationsvorgänge und Beschlüsse insofern existierten. Vielmehr genügt insoweit das "sachgedankliche Mitbewusstsein" bei den Verantwortlichen, dass mit der installierten Motorsteuerung alles in Ordnung sei.
4. Das KBA hat in der Vergangenheit mehrfach bestätigt (amtliche KBA-Auskünfte vom 18.08.2022 im Verfahren LG Bückeburg Az. 2 O 102/20 (betreffend den Fahrzeugtyp C 200 CDI, OM 651, Euro 5) sowie vom 29.08.2022 in dem Verfahren LG Stuttgart Az. 19 O 54/21 (betreffend den Fahrzeugtyp B 180 CDI OM 651, Euro 5), dass es neben dem Thermofenster auch das in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp verbaute "Geregelte Kühlmittelthermostat" nicht für unzulässig hielt (wegen fehlender Grenzwertüberschreitung auf dem Prüfstand).
5. Im Rahmen der Entwicklung freiwilliger Software-Updates entsprechend den Zusagen deutscher Hersteller beim Nationalen Forum Diesel hat das KBA bei erfolgreichem Nachweis der Emissionsverbesserung jeweils eine allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) für die Update-Software erteilt. Solche freiwilligen Maßnahmen wurden nur bei Fahrzeugen durchgeführt, bei deren amtlicher Untersuchung durch das zuständige KBA keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt wurden.
Normenkette
BGB §§ 31, 276 Abs. 2, § 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 5
Verfahrensgang
LG Lübeck (Urteil vom 29.12.2022; Aktenzeichen 5 O 461/20) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 29. Dezember 2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck, Az. 5 O 461/20, wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Lübeck ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadenersatz im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal nach dem Erwerb eines Gebrauchtwagens in Anspruch.
Streitgegenständlich ist ein Mercedes Benz C 200 CDI, den der Kläger am 4. September 2013 für brutto 26.400,- EUR bei der Beklagten mit einem Kilometerstand von 6.808 km erworben hat. Das Fahrzeug (EZ: 05.06.2012, EU-Typengenehmigung 06.12.2011) verfügt über den von der Beklagten hergestellten Motor OM 651. Es unterliegt der Abgasnorm Euro 5. Zur Abgasreduktion ist der Motor des Fahrzeuges mit einer innermotorischen Abgasrückführung ausgestattet (AGR), deren Wirkungsgrad u.a. von der Außentemperatur abhängig ist (sog. Thermofenster). Das Fahrzeug ist nicht von einem Pflichtrückruf des KBA betroffen. Während der Kläger im ersten Rechtszug noch das Vorliegen eines amtlichen KBA-Rückrufs behauptete, hat er diese Behauptung im Termin am 14.11.2023 fallen gelassen und klargestellt, dass es sich bei dem Software-Update lediglich eine freiwillige Servicemaßnahme der Beklagten handelte. Gerügt werden folgende Abschalteinrichtungen: Thermofenster, KSR, Bit 13, 14, 15, Slipguard.
Der Kläger hat vorgerichtlich fruchtlos die Beklagte zur Rückabwicklung auffordern lassen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Schadensersatz in Höhe von 20.505,94 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.11.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs Mercedes-Benz C 200 CDI mit der FIN WDD....
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs Mercedes-Benz C 200 CDI mit der FIN WDD... seit dem 10.11.2020 im Annahmeverzug befindet.
3. Die...