Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Anordnung eines paritätischen Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer nachhaltig zerrütteten Elternbeziehung und daraus resultierenden erheblichen Belastung für das Kind entspricht es regelmäßig dem Wohl des Kindes am besten, die gemeinsame elterliche Sorge vollständig aufzulösen.
2. Ein paritätisches Wechselmodell kann gegen den Willen eines Elternteils mangels einer ausreichenden Rechtsgrundlage vom Familiengericht nicht angeordnet werden (gegen OLG Schleswig, 5. Familiensenat, SchlHA 2014, 456).
3. Bei starken Konflikten bzw. einer eingeschränkten Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit/-bereitschaft der Eltern entspricht die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells nicht dem Kindeswohl.
Normenkette
BGB § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 1684 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
AG P (Beschluss vom 05.10.2015; Aktenzeichen 47 F 172/14) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Kindesvaters wird der Beschluss des AG - Familiengericht - P. vom 5.10.2015 (47 F 172/14) abgeändert.
Dem Kindesvater wird die alleinige elterliche Sorge für das Kind L., geboren am 18.4.2009, übertragen.
Die Anträge der Kindesmutter werden zurückgewiesen.
2. Die Gerichtskosten und gerichtlichen Auslagen für das Verfahren in erster und zweiter Instanz tragen die Kindeseltern zu je 1/2. Eine Erstattung von außergerichtlichen Kosten zwischen den Verfahrensbeteiligten findet in beiden Instanzen nicht statt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Kindeseltern streiten um das Sorgerecht bzw. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre gemeinsame Tochter L., geboren am 18.4.2009.
Die Kindesmutter ist in W. geboren und hat bis zur Auflösung der Sowjetunion im heutigen Russland zunächst in N. und danach in M. gelebt. Sie hat in M. fünf Jahre an der Universität Philologie, Englisch und Französisch studiert. Mit 23 Jahren hat sie ihr Studium abgeschlossen. Nach dem Studium hat sie zunächst als Sekretärin und danach als Personalassistentin der Geschäftsführung in der Verwaltung der L. gearbeitet. Den Kindesvater hat sie im Dezember 2005 in Moskau kennengelernt. Im März 2008 ist sie auf Wunsch des Kindesvaters nach Deutschland gezogen.
Nach einer Berufsausbildung ist der Kindesvater mit 23 Jahren Teilhaber seiner Lehrfirma geworden; mit der Zeit sind weitere Firmen dazugekommen. Diese Firmen sind weltweit tätig. Mit 22 Jahren war er erstmalig für sechs Jahre verheiratet gewesen. Kinder sind aus dieser Ehe nicht hervorgegangen. Danach hat er 16 1/2 Jahre eine feste Beziehung gehabt. Bis Februar 2016 hat er als Geschäftsführer in mehreren Firmen gearbeitet. Seitdem ist er von seiner Geschäftsführertätigkeit freigestellt.
Am 10.5.2008 haben die Kindeseltern miteinander die Ehe geschlossen. Am 18.4.2009 ist die gemeinsame Tochter L. geboren worden.
Im Jahre 2010 kam es zur ersten Trennung der Beteiligten. Am 8.9.2010 haben die Kindeseltern einen Ehevertrag geschlossen. In diesem Ehevertrag ist in § 6 geregelt, dass im Falle einer Ehescheidung das Sorgerecht und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsame minderjährige Tochter beiden Eheleuten zustehen soll (Bl. 11 Akte AG P. 47 F 139/15).
Im Februar 2012 hat die Kindesmutter eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau begonnen. Diese hat sie im Juni 2014 erfolgreich abgeschlossen. Im Zeitraum vom 13.6.2014 bis zum 30.9.2014 hat sie als Sachbearbeiterin im Einkauf/Verkauf bei der Firma m. gearbeitet.
Im Jahre 2013 haben sich die Eheleute innerhalb der ehelichen Wohnung getrennt (Bl. 3 Akte AG P. 47 F 139/15). Im Juli 2014 ist die Kindesmutter endgültig aus der Ehewohnung ausgezogen.
Seit September 2015 besucht das Kind die Grundschule - Waldschule A. Die Kindesmutter arbeitet derzeit vollschichtig. Sie arbeitet von Montag bis Donnerstag in der Zeit von 8:30 Uhr bis 16:30 Uhr und am Freitag in der Zeit von 8:30 Uhr bis 12:30 Uhr. Die Fahrzeit zu ihrer Arbeitsstelle beträgt 15 Minuten. Nach der Schule befindet sich das Kind im Hort. Der Kindesvater arbeitet derzeit als freier Berater 2-3 Stunden täglich von Zuhause aus.
Mittlerweile sind die Kindeseltern rechtskräftig geschieden.
Im Juli 2010 beantragte der Kindesvater den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Übertragung des Sorgerechts (AG P. 46 F 141/10). Am 7.7.2010 hat das Familiengericht P. eine einstweilige Anordnung dahingehend erlassen, dass zu Lasten der Kindesmutter eine Grenzsperre angeordnet wurde. Am 19.7.2010 beantragte die Kindesmutter ihrerseits im Wege der einstweiligen Anordnung, ihr die elterliche Sorge für das gemeinsame Kind zu übertragen. Am 20.7.2010 vereinbarten die Kindeseltern, dass die Kindesmutter berechtigt ist, bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung mit dem Kind aus dem ehelichen Haus auszuziehen und in räumlicher Nähe eine Wohnung zu beziehen. Die Grenzsperre vom 7.7.2010 wurde vom Familiengericht aufgehoben. Am 20.8.2010 teilten die Kindeseltern dem Familiengericht m...