Entscheidungsstichwort (Thema)
Manipulierter Verkehrsunfall - Wahlfeststellung abgesprochenes oder provoziertes Unfallereignis
Leitsatz (amtlich)
1. Bei Verdacht auf ein abgesprochenes oder provoziertes Unfallereignis kann der vom Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer zu erbringende Nachweis im Rahmen des sog. Indizienbeweises geführt werden. Dieser Beweis ist bereits dann geführt, wenn sich eine Häufung von Umständen und Beweiszeichen findet, die in der Gesamtschau nach richterlicher Überzeugung darauf hindeutet. Typische Beweisanzeichen können sich aus dem Unfallhergang, der Art der Schäden, der Art der beteiligten Fahrzeuge, dem Anlass der Fahrt, fehlender Kompatibilität, persönlichen Beziehungen oder den wirtschaftlichen Verhältnissen der Parteien ergeben.
2. Bei einem provozierten Unfall werden bewusst bestimmte Verkehrssituationen wie z.B. Rechts-vor-links-Regelung, Spurwechsel im Kreisverkehr oder Ausscheren aus einer Parklücke zur Herbeiführung einer Kollision mit scheinbar klarer Verantwortlichkeit ausgenutzt. Der Täter nutzt dabei gezielt die ihm bekannten Besonderheiten der Verkehrsführung aus, um mit dem Opferfahrzeug eine Kollision mit möglichst zweifelsfreier Verschuldensfrage herbeizuführen.
3. Bei der Reparatur eines Blechschadens unter der Hand oder in einer nicht markengebundenen Werkstatt kann sich durch die fiktive Abrechnung allein bei den Lohnkosten ein erheblicher Gewinn erzielen lassen ("lukrativer Seitenschaden"). Die vom Gutachter geschätzten Stundenverrechnungssätze einer Mercedes-Vertragswerkstatt liegen zwischen 171,00 EUR/h und 197,00 EUR/h.
4. Die Unfallsituation eines "unachtsamen Ausparkens" aus einer Parklücke mit fehlenden neutralen Zeugen und vermeintlich klarer Haftungslage kann Indiz für ein manipuliertes Kollisionsgeschehen sein.
5. Der Umstand, dass nach der Kollision die Polizei benachrichtigt worden ist, spricht weder für noch gegen eine Manipulation. Das Merkmal ist vielmehr ambivalent, weil gerade auch die fehlende Einschaltung der Polizei ein Indiz für ein kollusives Zusammenwirken sein könnte.
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 823; StVG §§ 7, 17; VVG § 115; ZPO §§ 286, 529, 531
Verfahrensgang
LG Itzehoe (Aktenzeichen 4 O 126/20) |
Tenor
I. Der Kläger wird gemäß § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass die Berufung gegen das angefochtene Urteil offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung aus den nachfolgenden Gründen ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
II. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen, sofern die Berufung nicht aus Kostengründen innerhalb der genannten Frist zurückgenommen werden sollte.
III. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für den zweiten Rechtszug auf 31.728,98 EUR (30.978,98 EUR + 750,00 EUR Schmerzensgeldantrag) festzusetzen.
Gründe
I. Der Kläger, ein Gebrauchtwagenhändler in H., nimmt die Beklagten gesamtschuldnerisch auf materiellen Schadenersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines behaupteten Kollisionsgeschehens in Anspruch, das sich am Donnerstag, den 05.03.2020, gegen 17:16 Uhr in der R... Straße auf Höhe der Hausnummer 3 in H. ereignet hat.
Zum Unfallzeitpunkt befuhr der Kläger mit seinem Mercedes-Benz S 350 BlueTEC (Erstzulassung 23.10.2015, Laufleistung 122.378 km, nächster TÜV-Termin 07/2020) die R... Straße in Richtung W1. Auf dem Beifahrersitz saß sein Bruder, der Zeuge T1. Die Beklagte zu 1. war die Fahrerin eines VW Polo (Erstzulassung 31.07.2001, Fahrleistung mindestens 232.355 km), den sie erst wenige Tage vor dem Unfallgeschehen, am 29.02.2020 von der Beklagten zu 2. zum Preis von 850,00 EUR erworben hat (Kaufvertrag Anlage B 3). Bei der Beklagten zu 2. handelt es sich um die Halterin des bei der Beklagten zu 3. zum Unfallfallzeitpunkt haftpflichtversicherten VW Polo mit dem amtl. Kennzeichen: ....
Zum Unfallzeitpunkt kam es zu einer Kollision beider Fahrzeuge bei dem Versuch der Beklagten zu 1., rückwärts aus einer rechtsseitigen Parklücke auszuparken.
Der Kläger macht auf Basis des Privatgutachtens Dipl.-Ing. S1 vom 14.03.2020 (Anlage K 1) fiktive Reparaturkosten in Höhe von 26.958,17 EUR, eine Wertminderung in Höhe von 650,00 EUR, Sachverständigenkosten in Höhe von 2.115,11 EUR, Nutzungsausfallentschädigung für 9 Tage in Höhe von 1.071,00 EUR sowie Kosten für die Nachbesichtigung des reparierten Fahrzeugs in Höhe von 174,70 EUR nebst einer Kostenpauschale von 30,00 EUR, mithin insgesamt 30.978,98 EUR materiellen Schadenersatz geltend. Der Kläger ließ das Fahrzeug nach dem Unfall anderweitig instandsetzen. Mit Schreiben vom 24.04.2020 (Anlage K 3) bestätigt der Privatgutachter S1, dass das Fahrzeug "abweichend vom vorgesehenen Reparaturweg" instandgesetzt worden ist (Reparaturbestätigung).
Der Kläge...