Entscheidungsstichwort (Thema)

Schmerzensgeld für rechtswidrig verhängte Abschiebehaft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Frage eines Ausschlusses des Schadensersatzanspruches eines ausländischen Staatsangehörigen aus Art. 5 Abs. 5 EMRK wegen rechtswidriger Freiheitsentziehung mit Rücksicht auf den in Schleswig-Holstein über Art. 77 EGBGB fortgeltenden § 7 des preußischen StHG.

2. Aus Art. 5 Abs. 5 EMRK kann auch Schmerzensgeld verlangt werden, zu dessen Bestimmung der Höhe nach § 7 Abs. 3 StrEG vergleichend herangezogen werden darf. Etwaige weitere immaterielle Folgen der Freiheitsentziehung sind zusätzlich zu berücksichtigen.

 

Normenkette

EMRK Art. 5; EGBGB § Art. 77; PrStHG § 7

 

Verfahrensgang

LG Kiel (Aktenzeichen 12 O 163/99)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 05.11.2002; Aktenzeichen VI ZB 54/01)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 12. Zivilkammer des LG Kiel vom 30.11.1999 wird insoweit zurückgewiesen, als der Antragsteller Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegnerin zu 1) begehrt.

Soweit der Antragsteller Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen den Antragsgegner zu 2) begehrt, wird der genannte Beschluss der 12. Zivilkammer des LG Kiel aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das LG zurückverwiesen.

 

Gründe

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist die Beschwerde des Antragstellers insgesamt gem. § 127 ZPO statthaft. Der Antragsteller hat das Recht auf Beschwerde nicht verwirkt.

Die Beschwerde gegen eine Prozesskostenhilfe ganz oder teilweise verweigernde Entscheidung ist nicht fristgebunden. Dennoch kann auch in einem solchen Fall das Recht zur Beschwerde ausnahmsweise verwirkt werden. In entsprechender Anwendung von § 242 BGB ist nämlich auch im Prozessrecht anerkannt, dass Rechtsmissbrauch nicht geschützt ist. Deshalb kann der Gesichtspunkt der Verwirkung auch bei der Prozesskostenhilfebeschwerde durchgreifen (OLG Koblenz v. 19.2.1997 – 13 WF 125/97, MDR 1997, 498 = OLGReport Koblenz 1997, 132; OLG Bamberg v. 29.3.1995 – 7 WF 24/95, FamRZ 1996, 618 f.; Zöller/Philippi, ZPO, 22. Aufl. 2001, § 127 Rz. 32; Baumbauch/Hartmann, ZPO, 59. Aufl. 2001, § 127 Rz. 66; Musielak/Fischer, ZPO, 2. Auf. 2000, § 127 Rz. 17).

Im vorliegenden Fall kann Verwirkung aber noch nicht festgestellt werden. Es ist bereits zweifelhaft, ob überhaupt der bloße Zeitablauf ausreichend ist, um das Beschwerderecht zu verwirken. Nach 1 ½ Jahren erscheint dies dem Senat jedenfalls nicht der Fall, wenn nicht weitere Umstände vorliegen, die die verspätete Rechtsverfolgung als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen. Solche Umstände fehlen aber im vorliegenden Fall gänzlich.

Die Beschwerde des Antragstellers kann keinen Erfolg haben, soweit er seinen Schmerzensgeldanspruch gegen die Antragsgegner zu 1) und 2) auf die §§ 839, 847 BGB i.V.m. Art. 34 GG stützt. Insoweit greift nämlich der Haftungsausschluss aus Art. 77 EGBGB i.V.m. § 7 des Preußischen Gesetzes über die Haftung des Staates und anderer Verbände für Amtspflichtverletzungen von Beamten bei Ausübung der öffentlichen Gewalt vom 1.8.1909 (GS. S. 691) durch. Die diesbezüglichen Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss des LG sind nicht zu beanstanden. Insbesondere ist die fragliche Vorschrift auch verfassungsgemäß. Der Senat verweist diesbezüglich auf sein Urt. v. 25.3.1999 – 11 U 94/97 (OLG Schleswig v. 25.3.1999 – 11 U 94/97, veröffentlicht in SchlHA 1999, 260 f. = OLGReport Schleswig 1999, 261) – und die dort zitierte Rechtsprechung und Literatur. Hinreichende Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 114 ZPO) fehlen deshalb insoweit.

Weitere Anspruchsgrundlagen, die dem Antragsteller mit Erfolg für sein Begehren gegen die Antragsgegnerin zu 1) zur Seite stehen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann aus Art. 5 Abs. 5 EMRK (und entsprechend aus Art. 9 Abs. 5 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte – IPBPR) kein Anspruch gegen die Antragsgegnerin zu 1) hergeleitet werden. Danach hat nämlich derjenige Hoheitsträger Schadensersatz zu leisten, dessen Hoheitsgewalt bei der rechtswidrigen Freiheitsentziehung ausgeübt worden ist (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl. 1996, Art. 5 EMRK Rz. 135 m.w.N.; vgl. auch BGHZ 45, 54). Im vorliegenden Fall ist der Zedent des Antragstellers aber nicht in Ausübung von Hoheitsgewalt der Antragsgegnerin zu 1) inhaftiert worden. Diese hat vielmehr nur einen Antrag bei dem AG Kiel gestellt, gegen den Zedenten Abschiebehaft zu verhängen. Diese Abschiebehaft ist tatsächlich vom AG Kiel, also einem Hoheitsträger des Antragsgegners zu 2) verhängt worden. Das AG Kiel war aber örtlich nicht zuständig, so dass der Beschluss unter einer Gesetzesverletzung zu Stande gekommen ist und die Inhaftierung nicht rechtmäßig iSv Art. 5 Abs. 1 EMRK war (LG Kiel, Beschl. der 3. Zivilkammer, v. 5.6.1998 – 3 T 306/98, bestätigt durch OLG Schleswig, B...

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