Leitsatz (amtlich)
1. Die Prüfung eines Anfechtungsgrundes hat das Gericht nicht auf den in der Anfechtungserklärung ausdrücklich aufgeführten Sachverhalt zu beschränken. Eine wirksame Anfechtungserklärung bedarf nur der eindeutigen Kundgabe eines Anfechtungswillens, nicht der Angabe eines Anfechtungsgrundes. Der Anfechtende kann seine Beweggründe auch im Nachlassverfahren noch erläutern.
2. Ein Irrtum über die Überschuldung des Nachlasses (§ 119 Abs. 2 BGB) liegt nur vor, wenn der Erbe von einer Werthaltigkeit des Nachlasses ausgegangen ist. Daran fehlt es, wenn dem Erben die Möglichkeit der Überschuldung bewusst war, weil er selbst keine genauen Vorstellungen vom Nachlassbestand hatte.
3. Meint der Erbe, dass die Frist zur Ausschlagung des Erbes erst mit Erhalt des Erbscheins zu laufen beginnt, liegt nicht nur ein unbeachtlicher Irrtum über die Rechtsfolgen seines Verhaltens vor, sondern stellt sich ein solcher Irrtum vielmehr als Inhaltsirrtum dar.
Normenkette
BGB § 119 Abs. 2, §§ 1943-1944, 1953
Verfahrensgang
AG Ahrensburg (Beschluss vom 28.11.2014; Aktenzeichen 30 VI 461/14) |
Tenor
Der Beschluss des AG - Nachlassgericht - Ahrensburg vom 28.11.2014 wird geändert. Das Nachlassgericht wird angewiesen, den Erbschein als unrichtig einzuziehen.
Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Gründe
I. Am 26.5.2014 verstarb X. Sie stand in ihren letzten Lebensmonaten unter umfassender Betreuung. Betreuer war ein benachbarter Rechtsanwalt, der Zeuge Y. Die Erblasserin war geschieden. Der Beteiligte Z ist ihr einziger Sohn.
Der Beteiligte beantragte unter dem 23.7.2014 einen Erbschein für sich als gesetzlichem Alleinerben, der ihm am 24.7.2014 erteilt wurde. In den folgenden Wochen löste der Beteiligte die Wohnung der Erblasserin auf. Mit notariell beurkundeter Erklärung vom 21.8.2014, beim Nachlassgericht eingegangen am 26.8.2014, erklärte er die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist. Er erläuterte die Anfechtungserklärung auf Nachfrage des Nachlassgerichts mit weiterer notariell beurkundeter Erklärung vom 8.10.2014 dahingehend, dass die Anfechtung der Annahme der Erbschaft gemeint gewesen sei. Zur Begründung der Anfechtung hat er vorgetragen, dass er erst nach Erhalt des Erbscheins am 25.7.2014 Einsicht bei der Postbank in die Bankunterlagen der Erblasserin erhalten habe. Hierdurch erst habe er von der Überschuldung des Nachlasses erfahren.
Mit Beschluss vom 28.11.2014 hat das Nachlassgericht entschieden, dass der Erbschein nicht als unrichtig eingezogen werde. Es hat die Entscheidung damit begründet, dass die Anfechtung der Annahme der Erbschaft wegen Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB nicht wirksam erfolgt sei. Der Erklärung des Beteiligten, dass er erst nach Erhalt des Erbscheins Kenntnis von der Zusammensetzung des Nachlasses erhalten habe, könne nicht gefolgt werden. Aus der Betreuungsakte sei ersichtlich, dass der Betreuer am 28.4.2014 ein Vermögensverzeichnis der Betreuten erstellt habe, in dem sowohl das Aktiv- als auch das Passivvermögen der Betreuten erfasst sei. Der Betreuer habe mit dem Beteiligten auch über die Frage einer Entlastungserklärung gesprochen. Diese habe der Beteiligte am 29.5.2014 unterzeichnet und es sei nicht anzunehmen, dass er dies getan und auf die förmliche Schlussrechnungslegung verzichtet hätte, wenn er nicht Kenntnis über den Vermögensbestand zu Beginn und Ende der Betreuung gehabt hätte. Auch habe es ihm als dem Sohn der Betreuten offen gestanden, vor der Erteilung der Entlastungserklärung und vor Beantragung eines Erbscheins Einsicht in die Betreuungsakte zu beantragen. Ein Irrtum liege jedoch dann nicht vor, wenn der Erbe sich der Möglichkeit bewusst sei, dass seine Vorstellung unrichtig sein könnte, er dies aber in Kauf nehme.
Der Beteiligte hat Beschwerde eingelegt. Er hat ausgeführt, dass er ein sehr gutes Verhältnis zu dem Betreuer gehabt und ihm vollumfänglich vertraut habe. Insofern habe er auch die Entlastungserklärung "blanko" unterschrieben. Der Betreuer habe ihm erklärt, dass möglicherweise noch ein Kredit bei der Postbank bestünde. Er, der Beteiligte, sei davon ausgegangen, dass es sich hierbei um ein Altdarlehen handele, das die Erblasserin nach seiner Kenntnis zurückgezahlt habe. Erst nach Erhalt des Erbscheins sei die Postbank bereit gewesen, ihm Auskunft zu erteilen. Dabei habe er erstmals von dem zu Lasten des Nachlasses noch offenstehenden Kredit i.H.v. 3.721,78 EUR erfahren. Unverzüglich danach habe er die Erbschaft angefochten. Der Erbschein sei einzuziehen.
Das Nachlassgericht hat unter dem 22.12.2014 die Nichtabhilfe vermerkt und die Beschwerde dem OLG übersandt. Der dort zuständige Senat, der die Sache dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen hat, hat den Beteiligten angehört und den ehemaligen Betreuer der Erblasserin als Zeugen schriftlich vernommen. Das Ergebnis ist dem Anhörungsvermerk vom 30.6.2015 (Bl. 86 - 90 d.A.), der schriftlichen Aussage des Zeugen vom 25.6...