Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Frage der Gefährdungshaftung nach § 7 StVG ("beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges") bei einer Kollision der abgestellten Fahrzeuge auf dem Autozugtransport nach Sylt (Sylt Shuttle).
Leitsatz (amtlich)
1. Der Begriff "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" i.S.v. § 7 StVG ist weit zu fassen.
2. Die Haftung aus Betriebsgefahr verwirklicht sich auch dann, wenn einzig die von außen wirkende Kraft des Windes den Schaden im ruhenden Verkehr bewirkt hat. Die Beeinflussung von Fahrzeugen (insbesondere mit höheren Aufbauten) durch Wind stellt grundsätzlich auch eine typische Gefahrenquelle des Straßenverkehrs dar, die bei wertender Betrachtung vom Schutzzweck der Gefährdungshaftung miterfasst wird.
3. Der angebotene Zeugenbeweis im zweiten Rechtszug kann gem. §§ 529, 531 ZPO verspätet sein, wenn der Zeuge erstinstanzlich nur für unstreitige Tatsachen benannt worden ist und erstmals mit der Berufung auch für streitige Behauptungen benannt wird.
Normenkette
StVG § 7 Abs. 1; VVG § 115; ZPO §§ 529, 531
Verfahrensgang
LG Flensburg (Urteil vom 10.05.2024; Aktenzeichen 4 O 256/23) |
Tatbestand
Die Klägerin (eine GmbH) verlangt Schadensersatz wegen der Beschädigung ihres Pkws während der Fahrt auf einem Autozug nach Sylt (Sylt-Shuttle).
Am 24.8.2022 wurde der Pkw der Klägerin (Mercedes-Benz) in Niebüll auf den Autozug nach Westerland (Sylt) verladen. Im Pkw befanden sich der Geschäftsführer der Klägerin sowie die Zeugin H.. Entsprechend einer Lautsprecherdurchsage der DB als Betreiberin der Zugverbindung war im klägerischen Fahrzeug die Handbremse angezogen und ein Gang eingelegt. Hinter diesem Pkw stand ein Mercedes Sprinter mit französischen Kennzeichen, geführt vom Fahrer T.. Dieser Sprinter wurde von DB-Mitarbeitern vor der Fahrt angegurtet. Während des ersten Abschnitts der Fahrt des Zuges nach Sylt kam es zweimal dazu, dass nach einem Anfahren und Abstoppen des Zuges der Sprinter von hinten gegen das klägerische Fahrzeug stieß, die Gurte waren gerissen. Am Klägerfahrzeug entstand ein Schaden in Höhe ca. 20.000,- EUR.
Die Klägerin hat behauptet, der französische Fahrer habe die Handbremse nicht angezogen und keinen Gang eingelegt gehabt. Die Gurte hätten nur der zusätzlichen Sicherung neben Handbremse und Gang gedient, unter diesen Umständen das Gewicht des Beklagtenfahrzeugs aber nicht halten können. Nach den zwei Anstößen habe der französische Fahrer die Bremse angezogen, deshalb sei es danach zu keinen weiteren Aufschlägen mehr gekommen.
Die Beklagte hat behauptet, dass selbst bei nicht angezogener Handbremse (was bestritten sei) die Gurte nicht hätten reißen dürfen, dies sei nur durch Verschleiß/Materialermüdung zu erklären. Außerdem sei für den Schaden allein die DB verantwortlich. Die straßenverkehrsrechtliche Gefährdungshaftung für das Kraftfahrzeug greife nicht, weil dieses lediglich wie eine Ware auf dem Zug transportiert worden sei.
Das Landgericht Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin H.. Außerdem hat es den Geschäftsführer der Klägerin persönlich angehört.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht der Klage gem. §§ 7,17 StVG in vollem Umfang stattgegeben. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Unfall dadurch ereignet hat, dass bei dem französischen Sprinter zu Beginn der Bahnfahrt weder die Handbremse aktiviert noch ein Gang eingelegt war. Dies lasse sich auch nicht durch eine fehlende Sprachkenntnis des französischen Fahrers entschuldigen. Den Fahrer T. sei nur für die unstreitige Tatsache als Zeugen benannt worden, dass die Spanngurte im Verlauf der Fahrt rissen und es zu einem Kontakt zwischen dem Sprinter und dem klägerischen Mercedes kam. Hinsichtlich des Anziehens der Handbremse und des Einlegens eines Ganges habe die Beklagte einfach nur den klägerischen Vortrag bestritten, aber nicht ihrerseits positiv behauptet, dass die Handbremse angezogen und der Gang eingelegt gewesen sei und hierfür zum Beweis den Zeugen T. angeboten. ouré auch nicht für eine solche positive Behauptung benannt. Der Unfall habe sich auch "beim Betrieb" i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG ereignet. Das Merkmal "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" sei entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr komme es maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs stehe (BGH, Urteil vom 20.10.2020, Az. VI ZR 319/18, bei juris Rn. 7).c Das sei hier der Fall. Das Fahrzeug sei hier für eine vergleichsweise kurze Zeit voll betriebsbereit auf den Autozug verladen worden. Der Fahrer befand sich weiterhin im Wagen und hatte nach wie vor Einflussmöglichkeiten auf das Geschehen. Es habe sich eine fahrzeugtypische Gefahr realisiert. Der Kollisionsgefahr der verladenen Fahrzeuge sollte neben dem Angurten auch durch das Anziehen der Handbremse und Einlegen eines Gan...