Entscheidungsstichwort (Thema)
Entscheidung über Ablehnung des Vorsitzenden einer Kammer für Handelssachen wegen Befangenheit
Leitsatz (amtlich)
Über ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen hat stets die vollbesetzte Kammer unter Mitwirkung des Vorsitzendenvertreters und der beiden nach der Geschäftsverteilung zuständigen Handelsrichter zu entscheiden.
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1; GVG § 105 Abs. 1; ZPO § 45 Abs. 1, § 46 Abs. 2, § 349 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Lübeck (Beschluss vom 14.08.2003; Aktenzeichen 13 O 173/02) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung durch die vollbesetzte Kammer für Handelssachen III an das LG Lübeck zurückverwiesen.
Gründe
Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist gem. § 46 Abs. 2 ZPO statthaft und auch formgerecht durch Anwaltsschriftsatz eingereicht worden, § 569 Abs. 3 ZPO. Die Beschwerdefrist des § 569 Abs. 1 S. 2 ZPO ist schon deshalb gewahrt, weil der angefochtene Beschluss den Parteien ersichtlich entgegen §§ 569 Abs. 1 S. 2, 329 Abs. 3 ZPO nicht förmlich zugestellt worden ist.
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das LG, weil der Beschluss nicht von den gesetzlich vorgesehenen Richtern gefasst worden ist und eine eigene Entscheidung durch den Senat in der Sache nicht sachgerecht erscheint.
1. Über das Befangenheitsgesuch des Beklagten vom 7.8.2003 hat der Vertreter des abgelehnten Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen III allein ohne Hinzuziehung von Handelsrichtern entschieden. Hierzu war er gem. §§ 105 Abs. 1 GVG, 349, 45 Abs. 1 ZPO nicht befugt. Folglich ist der angefochtene Beschluss unter Verstoß gegen das Grundrecht auf Entscheidung durch den gesetzlichen Richter ergangen, § 16 S. 2 GVG, Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG.
a) Auch außerhalb der mündlichen Verhandlung entscheidet die Kammer für Handelssachen gem. § 105 Abs. 1 GVG in voller Spruchbesetzung, also in der Besetzung mit zwei Handelsrichtern sowie dem Vorsitzenden, es sei denn, der Vorsitzende ist gem. § 349 ZPO zur alleinigen Entscheidung berufen. Das ist bei einer Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen nicht der Fall.
Eine Entscheidungsbefugnis durch den Vorsitzendenvertreter gem. §§ 45 Abs. 1, 349 Abs. 1 ZPO scheidet schon deshalb aus, weil die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen nicht lediglich der Vorbereitung der Entscheidung der Kammer in der Hauptsache dient, sondern die ordnungsgemäße Besetzung des Spruchkörpers, also den Anspruch der Parteien auf Entscheidung durch den gesetzlichen Richter, betrifft. Über diese Frage hat gem. § 45 Abs. 1 ZPO beim LG stets der volle Spruchkörper ohne Mitwirkung des Abgelehnten zu entscheiden. Das gilt auch für die Kammer für Handelssachen (h.M. Kissel, GVG, 3. Aufl., § 105 Rz. 9; BayObLGZ 1979, 364 [367] m.w.N.).
Eine andere Handhabung wäre auch ohne jede innere Rechtfertigung, weil selbst über die Ablehnung eines originären Einzelrichters i.S.v. § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO die vollbesetzte Zivilkammer entscheidet, obwohl diese in keinem Falle zur Entscheidung in der Hauptsache befugt ist.
b) Eine Zuständigkeit des Vorsitzendenvertreters allein zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch kraft Natur der Sache scheidet angesichts von § 105 Abs. 2 GVG aus. Zwar wirken Handelsrichter in den Kammern für Handelssachen mit, weil ihre besondere, aus ihrer kaufmännischen Tätigkeit gewonnene Sachkunde für die Entscheidungsfindung fruchtbar gemacht werden soll. Deshalb hat § 349 Abs. 2 ZPO in den dort geregelten Fällen, bei denen es typischerweise nicht auf die besondere Sachkunde der Handelsrichter ankommt, dem Vorsitzenden allein die Entscheidung zugewiesen (hierzu BVerfG NJW 1999, 1095).
Daraus folgt aber nicht ein Rechtssatz, dass die Handelsrichter nicht zur Mitwirkung berufen sind, wenn es auf ihre besondere Sachkunde nicht ankommt. Im Gegenteil, das Gesetz hat nach § 105 Abs. 1 GVG ein klares Regel-Ausnahme-Verhältnis angeordnet. Soweit die Sonderregel des § 349 ZPO nicht greift, entscheidet die Kammer für Handelssachen in der Besetzung mit drei Richtern (Kissel, GVG, 3. Aufl., § 105 Rz. 6). Aus diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis ergibt sich, dass Handelsrichter kraft Gesetzes in einer Vielzahl von Fällen auch zur Mitwirkung an einer Entscheidung über Rechtsfragen berufen sind, bei denen es auf ihre besondere Rechtskunde nicht ankommt. Auch in solchen Fällen haben alle Mitglieder der Kammer für Handelssachen gleiches Stimmrecht, § 105 Abs. 2 GVG.
Es bedarf keiner weiteren Darlegung, dass bei einer Entscheidung nach § 45 ZPO keiner der in § 349 Abs. 2 ZPO aufgeführten Fälle gegeben ist. Das wird, soweit ersichtlich, auch von niemand vertreten.
Für den Fall, dass das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung vor der vollbesetzten Kammer für Handelssachen angebracht wird, ist dem Senat bisher kein Fall bekannt geworden, dass ...