Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu berücksichtigende Aspekte der der Bemessung des Schmerzensgeldes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Grundsätzlich kann bei der Schmerzensgeldbemessung das zögerliche Regulierungsverhalten des in Anspruch genommenen Versicherers eine Rolle spielen. Das gilt jedoch dann nicht, wenn die Versicherung schon vorgerichtlich alle geltend gemachten materiellen Schäden weitgehend reguliert und auch auf das anstehende Schmerzensgeld nicht unerhebliche Zahlungen (hier 20.000 EUR) erbracht hat

2. Maßgeblich für die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes sind die durch den Unfall verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten, wobei neben Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen ein besonderes Gewicht etwaigen Dauerfolgen der Verletzung zukommt. Einer Geschädigten, die im Alter von 29 Jahren einen unfallbedingten Dauerschaden am linken Knie mit einer dauerhaften MdE von (derzeit) 20 % erlitten hat, ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 EUR zuzubilligen. Ausgehend von einer normalen Lebenserwartung wird die Geschädigte deutlich über 50 Jahre lang mit den Folgen des Unfalls konfrontiert sein und leben müssen, wobei eine weitere Verschlechterung der Kniegelenksfunktion bis hin zu einer Kniegelenksendoprothese nicht ausgeschlossen ist.

 

Normenkette

BGB § 253 Abs. 2; StVG §§ 7, 11 S. 2, § 17; VVG § 115

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - das am 15.11.2019 verkündete Urteil des Einzelrichters der 17. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin (weitere) 20.000 EUR Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p. a. seit dem 01.06.2016 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.565,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p. a. seit dem 28.06.2016 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden, die ihr aus dem Verkehrsunfall vom 10.04.2011 in Dassendorf entstanden sind und noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.706,94 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p. a. seit dem 20.01.2017 zu zahlen.

5. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

6. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 70 % und die Beklagte 30 %. Von den Kosten des Berufungsrechtszuges tragen die Klägerin 75 % und die Beklagte 25 %.

7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Parteien bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die jeweils andere Partei gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin hat die Beklagte als Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer erstinstanzlich auf weiteren materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie umfassende Feststellung in Anspruch genommen.

Zweitinstanzlich streiten die Parteien nur noch um die Schmerzensgeldhöhe, damit zusammenhängend um die Höhe der ersatzfähigen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Dem zugrunde liegt ein Verkehrsunfall vom 10.04.2011 auf der B ... in D., den die Klägerin als Motorradfahrerin erlitt und bei dem sie erheblich verletzt wurde. Die volle Einstandspflicht der Beklagten als Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Kraftfahrzeuges ist dem Grunde nach unstreitig.

Die am ...1982 geborene Klägerin ist von Beruf Polizeibeamtin in H..

Bei dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall erlitt sie eine Tibiafraktur sowie eine "komplexe Kniegelenkverletzung links". Im Einzelnen erlitt sie eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes, eine Außenmeniskushinterhornläsion sowie eine Innenbandruptur. Unmittelbar nach dem Unfall wurde das verletzte Knie erstmals operativ im BG Krankenhaus in H.-B. versorgt. Dort befand sich die Klägerin vom Unfalltage bis zum 29.04.2011 in stationärer Behandlung. Es schlossen sich zwei weitere Operationen in der A. Privatklinik M. im Jahre 2012 an (17.09. - 21.09. und 05.12. - 08.12.2012), bei denen Ersatzplastiken des vorderen und hinteren Kreuzbandes sowie eine Revision des Innenbandes erfolgten.

Die Klägerin war entsprechend zeitweise krankgeschrieben, teilweise konnte sie nur im Innendienst eingesetzt werden. Seit Juni 2013 war sie wieder im Außendienst tätig. Nach ihrer Ausbildung zum gehobenen Dienst (2012 - 2014) ist sie zur Kommissarin (A9) und seit dem 01.01.2020 zur Oberkommissarin (A10) befördert worden. Ziel sei - so die Klägerin -...

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