Normenkette
StVG § 17 Abs. 3; ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 4
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 06.10.2015 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 8. Zivilkammer des Landgerichts Kiel einschließlich des ihm zugrundeliegenden Verfahrens aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jegliche weitere materielle und immaterielle Schäden aus Anlass des Verkehrsunfalles vom 16.07.2010 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.
Im Übrigen wird die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Zur Höhe und zur Entscheidung über die Kosten, auch des Berufungsverfahrens, wird die Sache an das Landgericht Kiel zurückverwiesen.
Gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, sowie die Gerichtsgebühren der Berufungsinstanz, werden nicht erhoben.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Pkws BMW 323 i, ehemaliges amtliches Kennzeichen ..., auf materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie umfassende Feststellung in Anspruch.
Dem zugrunde liegt ein Verkehrsunfall vom 16.07.2010 gegen 13:00 Uhr auf der Landesstraße ... in Höhe km 2,4 bei S. Die 1961 geborene Klägerin, die seinerzeit schon eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezog, war als Aushilfs-Taxifahrerin ("350 EUR-Job") tätig. Sie befuhr mit dem Pkw Daimler Chrysler, amtliches Kennzeichen ..., die L ... aus A kommend in Fahrtrichtung B ... mit ca. 70 km/h. In Gegenrichtung befuhr der bei dem Unfall verstorbene Versicherungsnehmer der Beklagten, B, die L ... .
Auf einem nur rund 400 m langen geraden Streckenabschnitt wurden die Klägerin und der hinter ihr fahrende Zeuge H von dem Zeugen O (geb. ...1992) überholt, wobei die Einzelheiten dieses Überholvorganges streitig sind.
Der entgegenkommende Versicherungsnehmer der Beklagten geriet aus einer - aus seiner Sicht - Rechtskurve kommend, die er unstreitig mit einer Geschwindigkeit von (mindestens) 95 km/h befuhr, nach rechts auf die unbefestigte Bankette, schleuderte von dort nach links herüber, wobei sein Fahrzeug mit dem von der Klägerin geführten Taxi-Fahrzeug kollidierte. Nachfolgend schoss der bei der Beklagten versicherte BMW über die Fahrbahn hinaus und geriet in Brand, wobei der Versicherungsnehmer der Beklagten ums Leben kam. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug am Unfallort 70 km/h.
Infolge der Kollision mit dem schleudernden BMW erlitt die Klägerin eine Fraktur des rechten Fußes. Sie befand sich rund drei Wochen in stationärer Behandlung und musste vier Mal operiert werden. Die Klägerin war sodann bis zum Frühjahr 2011 krankgeschrieben. Seit dem Unfall hat sie keinen Personenbeförderungsschein mehr als Taxifahrerin erhalten.
Das gegen den Beschuldigten O eingeleitete Strafverfahren (Amtsgericht R, ... Ls .../...) endete mit einem Freispruch (Urteil vom 4.7.2011). Die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft K ist im Termin am 11.12.2012 vor der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts K (Az.: ... Ns .../...) zurückgenommen worden.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Unfall sei für sie unabwendbar gewesen. Hingegen hätte sich bei dem Fahrzeug des verstorbenen Versicherungsnehmers der Beklagten die überhöhte Geschwindigkeit unfallursächlich ausgewirkt.
Die Klägerin hat behauptet, unfallbedingt diverse körperliche Beeinträchtigungen - über die Fußfraktur hinaus - erlitten zu haben, unter anderem einen Bandscheibenvorfall, Kopf- und Nackenschmerzen sowie eine andauernde Gangstörung durch die Fußfraktur. Auch sei bei ihr ein psychischer Dauerschaden eingetreten.
Die Klägerin hat ein Schmerzensgeld von mindestens 50.000 EUR für angemessen erachtet. Daneben hat sie einen Verdienstausfallschaden, einen Haushaltsführungsschaden sowie Rechtsanwaltskosten unter anderem für die Geltendmachung von Ansprüchen bei der Berufsgenossenschaft und ihrem privaten Unfallversicherer ersetzt verlangt.
Vorgerichtlich hat die Beklagte bzw. die ...-Versicherung Vorschusszahlungen in Höhe von insgesamt 10.000 EUR erbracht.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen,
a) an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2013,
b) Verdienstausfallschaden für die Zeit bis einschließlich August 2013 in Höhe von 23.065,05 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2013,
c) weiteren Schadenersatz für die Zeit bis einschließlich August 2013 in Höhe von 4.172,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit
zu zahlen, abzüglich einer von der Beklagten geleisteten Vorschusszahlung von 2.000 EUR und zwei weiteren Vorschusszahlungen der x-Versicherung in Höhe von insgesamt 8.000 EUR, schließlich
2. festzustellen, dass die Beklagte weiterhin verpflichtet ist, sie auch von jeglichem weiteren Schaden...