Entscheidungsstichwort (Thema)

Regress des Verdienstausfallschadens durch den Rentenversicherungsträger

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zivilgerichte sind grundsätzlich nach § 118 SGB X an einen unanfechtbaren Rentenbescheid des zuständigen Leistungsträgers gebunden. Die Frage, ob zwischen der Unfallschädigung und dem geltend gemachten Schaden ein Kausalzusammenhang besteht, ist jedoch von der Bindungswirkung nicht umfasst.

2. Der Forderungsübergang nach §§ 116 SGB X setzt voraus, dass der Geschädigte unfallbedingt einen Einkommensverlust erlitten hat und ihm deshalb seitens der Klägerin Rentenversicherungsbeiträge in gleicher Höhe zufließen. Die Ersatzpflicht greift erst dann ein, wenn durch die Beeinträchtigung der Arbeitskraft des Verletzten in dessen Vermögen ein konkreter ersatzfähiger Schaden entstanden ist oder entstanden wäre.

3. Ist die voraussichtliche berufliche Entwicklung eines Geschädigten ohne das Schadensereignis zu beurteilen, muss der Geschädigte konkrete Anhaltspunkte für die erforderliche Prognose dartun. Hatte er bei Eintritt des Schadens kein festes, regelmäßiges Einkommen, ist der Verdienst zu ermitteln, den er ohne den Unfall bei dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den besonderen Umständen des Einzelfalles mit Wahrscheinlichkeit hätte erzielen können. Eine völlig abstrakte Berechnung in Form der Schätzung eines "Mindestschadens" ist nicht zulässig.

3. Etwaig verbleibenden Risiken bei der prognostischen Schätzung des Verdienstausfallschadens, z.B. häufiger Wechsel der Arbeitsstelle oder längere Zeiten der Arbeitslosigkeit, können durch gewisse Abschläge berücksichtigt werden.

4. Der Geschädigte muss im Rahmen seiner Schadenminderungspflicht die ihm verbliebene Arbeitskraft in zumutbarer Weise gewinnbringend nutzen, soweit ihm das möglich ist. Dazu zählt auch, geeignete und zumutbare Maßnahmen zur Herstellung der Gesundheit und Rückgewinnung der Arbeitsfähigkeit zu ergreifen und Tätigkeiten, die dies gefährden, zu unterlassen.

5. Einem Verletzten, der wegen einer Sehbehinderung (Diplopie und einseitige Trochlearisparese) mit einem GdB 15 bis 25 % in seiner Erwerbsfähigkeit eingeschränkt ist, ist es zuzumuten, sich um einen entsprechenden "Minijob" in Wohnortnähe zu bemühen (z.B. als Mitarbeiter im Empfang oder an einer Rezeption; in einem Callcenter oder für leichte Reinigungsarbeiten).

 

Normenkette

BGB §§ 252, 254 Abs. 2, § 842; SGB X §§ 116, 118-119; StVG §§ 7, 11 S. 1; VVG § 115; ZPO § 287

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 22.01.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreites in beiden Rechtszügen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist der gesetzliche Rentenversicherer der am ...1976 geborenen Zeugin D1.

Sie nimmt den Beklagten als Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer aus übergegangenem Recht aufgrund eines Unfalles ihrer Versicherten vom ...2009 in Regress.

Bei dem Unfall, für den der Beklagte dem Grunde nach gemäß § 7 StVG i.V.m. § 115 VVG unstreitig vollen Umfangs eintrittspflichtig ist, wurde die Versicherte der Klägerin erheblich verletzt. Sie erlitt u.a. Frakturen im Gesicht, gleichfalls am rechten Bein, zudem einen Kreuzbandriss rechts. Wegen der Einzelheiten wird auf den Arztbericht des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf vom 10.11.2009 (Bl. 13 - 17 d. A.) verwiesen.

Nach mehreren Operationen verblieb bei der Zeugin unfallbedingt eine Doppelsichtigkeit (Diplopie), die insbesondere beim Abblick und beim Linksblick auftritt, sowie eine einseitige Trochlearisparese. Das erstinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten der Sachverständigen Dr. N1, Oberärztin am UKSH, Standort Lübeck, kommt zu dem Ergebnis, dass bei der Zeugin aufgrund der Diplopie eine Erwerbsminderung von 15 % - 25 % vorliegt. Wenn man ein Auge abdeckt bestehe keine Doppelsichtigkeit mehr. Wo Doppelbilder tolerabel sind, seien - so die Sachverständige - "einfache Tätigkeiten" möglich.

Vor dem Unfall war die Zeugin D1, die zwei Lehren abgebrochen hatte, im Wesentlichen als Hausfrau und Mutter tätig. Ab dem Jahr 2007 war sie darüber hinaus saisonal bei der Zeugin H1 beschäftigt; sie verdiente dort mit der Reinigung von Ferienwohnungen rund 900,00 EUR in der Saison (jährlich von März bis einschließlich November). Diese Tätigkeit endete zum 30.06.2009. Nach dem Unfall vom 6.11.2009 arbeitete die Zeugin von März bis Ende Juli 2013 für ihren Schwiegervater, den Zeugen H2 in S.. Sie war dort 3 Stunden wöchentlich als Haushaltshilfe tätig, zu einem Stundenlohn von 8,50 EUR (120,- EUR/Monat).

Mit Bescheid der Klägerin vom 07.08.2014 (Bl. 482 - 523 d. A.) wurde der Zeugin rückwirkend zum 01.09.2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt, die sich der Höhe nach auf rund 800,00 EUR monatlich beläuft. Außergerichtlich hat der Beklagte den geltend gemachten Erwerbsschaden der Zeugin aus entgangener Haushaltsführung in Höhe...

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