Leitsatz (amtlich)
Dem Anbieter eines sozialen Netzwerks steht ein Recht zur Entfernung des Beitrags eines Nutzers nicht bereits dann zu, wenn er irrtümlich annimmt, der Beitrag verstoße gegen in den Nutzungsbedingungen geregelte Kommunikationsstandards, namentlich gegen das Verbot von Hassrede.
Hat der Netzwerkanbieter einen von ihm vertragswidrig entfernten Beitrag wiederfreigeschaltet, wertet diesen nicht mehr als Verstoß gegen Nutzungsbedingungen und erklärt, die Vereinbarkeit des Beitrags mit seinen Kommunikationsstandards nicht mehr zu bezweifeln, besteht keine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Anbieter diesen Beitrag erneut sanktionieren wird.
Der Nutzer hat einen Anspruch auf Unterlassung von Einschränkungen der Funktionen des Netzwerkes (Sperrung) ohne vorherige Information und Möglichkeit einer Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung, soweit es sich nicht um einen definierten Ausnahmefall handelt, für den der Anbieter in seinen Geschäftsbedingungen Maßnahmen ohne Vorabverfahren geregelt hat. So lange der Anbieter keine solche Regelung getroffen hat, besteht der Anspruch auf Unterlassung gegenüber jeder Sperrung ohne vorherige Information und Möglichkeit der Gegenäußerung.
Allein die unberechtigte Entfernung eines Beitrags und Beschränkung in der Möglichkeit, die Dienste der Plattform zu nutzen, begründet ohne Hinzutreten besonderer Umstände weder einen immateriellen Schaden noch einen Vermögensschaden.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, § 307 Abs. 1 S. 1; EUV 2016/679 Art. 82 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Itzehoe (Urteil vom 28.07.2022; Aktenzeichen 10 O 400/21) |
Tenor
I. Auf die Berufungen beider Parteien wird das Urteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe vom 28.07.2022 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass der Beklagten kein Recht zustand, den am 13.09.2021 gelöschten Beitrag des Klägers auf der Plattform www.facebook.com:
"Die Deutschen sind sowas von krank. Deutschland hat fertig"
zu entfernen und gegen den Kläger wegen dieses Beitrags eine Sperre in Form einer Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten der Plattform zu verhängen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger auf www.facebook.com zu sperren (insbesondere, ihm die Nutzung der Funktionen von www.facebook.com wie Posten von Beiträgen, Kommentieren fremder Beiträge und Nutzung des Nachrichtensystems vorzuenthalten), ohne vorab über die beabsichtigte Sperrung zu informieren und die Möglichkeit zur Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung einzuräumen, soweit es sich nicht um einen Ausnahmefall handelt, hinsichtlich derer sie zuvor in den AGB die Sperre ohne Vorabverfahren geregelt hat.
Für den Fall der Zuwiderhandlung wird ihr ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft angedroht, die Ordnungshaft ist zu vollziehen an den Vorständen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 368,78 EUR durch Zahlung an die Kanzlei R. freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehenden Berufungen beider Parteien werden zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz trägt der Kläger 70 %, die Beklagte 30 %, von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger 2/3, die Beklagte 1/3.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, in Ziffer I. 2 (Unterlassungsanspruch) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.500 EUR. Im Übrigen können die Parteien die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
V. Die Revision wird - mit Ausnahme des Schadensersatzanspruchs (Berufungsantrag zu 7.) und des Anspruchs auf Auskunft bezüglich Weisungen der Bundesregierung oder anderer Stellen (Berufungsantrag zu 6.) - zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 10.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger macht Ansprüche im Zusammenhang mit der Löschung eines Beitrags und der Sperrung seines Nutzerkontos auf der von der Muttergesellschaft der Beklagten betriebenen Plattform "Facebook", deren Anbieterin für Nutzer in Deutschland die Beklagte ist, geltend.
Der Kläger unterhält seit ca. 2007 ein privates Facebook-Nutzerkonto. Die Nutzung erfordert eine einmalige Anmeldung unter Angabe einer E-Mail-Adresse und das Akzeptieren der Nutzungsbedingungen der Beklagten (Anlage K 42), in denen es unter anderem heißt:
"Wir möchten, dass Personen Facebook nutzen, um sich auszudrücken und Inhalte zu teilen, die ihnen wichtig sind. Dies darf jedoch nicht auf Kosten der Sicherheit und des Wohlergehens anderer oder der Integrität unserer Gemeinschaft erfolgen. Du stimmst deshalb zu, dich nicht an den nachfolgend beschriebenen Verhaltensweisen zu beteiligen [(...)]:
1. Du darfst unsere P...