Entscheidungsstichwort (Thema)
Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB; Restschadensersatzanspruch in Dieselfällen
Leitsatz (amtlich)
Dem Käufer eines bewusst mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Neufahrzeugs kann nach Verjährung seines Anspruchs aus § 826 BGB ein Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 BGB zustehen. Das gilt auch dann, wenn das Fahrzeug bereits zugelassen war, aber nicht genutzt wurde.
Normenkette
BGB § 198 Abs. 1, §§ 826, 852
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 21.04.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe wird zum Teil als unzulässig verworfen, im Übrigen zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 21.04.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe teilweise abgeändert. Die Klage wird auch abgewiesen, soweit der Kläger die Feststellung des Annahmeverzuges und die Zahlung von 1.324,36 EUR nebst Zinsen als Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten beantragt hat.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits in der ersten Instanz tragen der Kläger 81 % und die Beklagte 19 %. Von den Kosten der Berufung tragen der Kläger 58 % und die Beklagte 42 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils für die andere Partei vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zur Klärung der Frage zugelassen, ob und ggf. in welcher Höhe einem Käufer eines mit einer unter Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs nach der Verjährung seiner deliktischen Ansprüche ein Anspruch aus § 852 BGB zusteht.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz, weil die Motorsteuerung seines PKW manipulierend auf den Stickoxidausstoß einwirkte.
Der Kläger kaufte am 06.06.2014 einen VW Touran von der X GmbH zu einem Preis von 25.900,00 EUR. Das Fahrzeug war am 27.03.2014 erstmals zugelassen worden und wies bei der Auslieferung am 19.06.2014 einen Kilometerstand von 10 km auf (Anlage K 1, Bl. 46 d. A.).
Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Motor EA189 ausgerüstet. Die Motorsteuerung bewirkte bei der Erkennung einer Prüfstandsituation eine erhöhte Abgasrückführung mit der Folge einer geringeren Emission von Stickoxiden, die zur Einhaltung des Grenzwerts führte, während die Abgasrückführungsrate beim normalen Betrieb auf der Straße geringer war.
Die Beklagte teilte am 22.09.2015 in einer ad-hoc-Mitteilung und einer Presseerklärung mit, dass Millionen Fahrzeuge der Konzernmarken mit einer von dem Kraftfahrt-Bundesamt beanstandeten Software ausgestattet waren. In einer Presserklärung vom 15.10.2015 teilte sie mit, dass die betroffenen Fahrzeuge vom Kraftfahrt-Bundesamt zurückgerufen worden waren. In einer Presseerklärung vom 15.11.2015 stellte sie das zur Entfernung der Abschalteinrichtung entwickelte Update vor. Die Beklagte richtete im Oktober 2015 eine Internetseite ein, auf der Halter durch Eingabe der FIN prüfen konnten, ob ihr Fahrzeug von der Manipulation betroffen war, und machten dies durch Pressemitteilungen bekannt. Die Beklagte unterrichtete noch im Jahr 2015 das Händlernetzwerk über die Manipulation. Über alle diese Umstände wurde umfangreich in allen Medien berichtet. Ab Februar 2016 versandte die Beklagte an die Halter Schreiben, in denen sie darüber informierte, dass ihre Fahrzeuge von der beanstandeten Software betroffen waren.
Die vom Kraftfahrt-Bundesamt durch Bescheid vom 14.10.2015 angeordnete Änderung der Motorsteuerung ist durchgeführt worden. Mit dem Update wurde ein sog. Thermofenster in die Motorsteuerung integriert. Dieses steuert die Rate der Abgasrückführung abhängig u. a. von der Außentemperatur.
Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 27.07.2020 (Anlage K 19, AB) auf, Schäden anzuerkennen.
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
Der Kläger hat behauptet, das Fahrzeug habe aufgrund der Abschalteinrichtung einen Wertverlust von 25 % - 30 % erlitten.
Die Abgasrückführung funktioniere aufgrund des Thermofensters nur bei Temperaturen zwischen 10 °C und 32 °C bzw. 15 °C und 30 °C und Höhen unter 1.000 m. Die Abschaltung der Abgasrückführung erfolge ungerechtfertigt schnell bei Temperaturen außerhalb des Bereichs, der auf dem Prüfstand vorliege. Die Motorsteuerung erkenne die Prüfsituation aufgrund einer Zykluserkennung, des Lenkwinkels, der Beschleunigung, der Geschwindigkeit und der Temperatur. Die Grenzwerte würden auch nach dem Update nicht eingehalten. Das Update habe ungünstige Folgen für das Fahrzeug, u. a. einen erhöhten Verschleiß des Partikelfilters.
Die Gesamtlaufleistung betrage 500.000 km, mindestens aber 400.000 km.
Aus den Rückrufschreiben sei für...