Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Ermittlung des Schadens wegen Mängeln eines Architektenwerks.
Leitsatz (amtlich)
Ein Bauherr ist bei der Mangelbeseitigung nicht gehalten, die ursprüngliche Planung beizubehalten, um Schadenersatz in Höhe der Mangelbeseitigungskosten geltend machen zu können. Unter der Voraussetzung, dass dabei die Mängel beseitigt werden, kann er den Arbeiten eine abweichende Planung zugrunde legen, etwa dem Bauwerk eine neue Gestaltung geben. Eine fiktive Schadensberechnung liegt nicht vor. Die Höhe des Schadenersatzes ist aber auf den Betrag beschränkt, der bei der Mangelbeseitigung nach der alten Planung angefallen wäre.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, § 634 Nr. 4
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 27.06.2022, Az. 2 O 100/20, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst: ≫Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 62.412,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 42.501,52 EUR ab dem 10.10.2018 und auf weitere 19.910,84 EUR ab dem 21.04.2022 zu zahlen. ≫Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen einschließlich der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens (LG Lübeck 2 OH 11/17) trägt der Beklagte 85 % und die Klägerin 15 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schadensersatz wegen mangelhafter Planung und Überwachung eines Bauvorhabens.
Die Klägerin beauftragte den Beklagten mit Architektenvertrag vom 29.07./03.08.2009 mit der Planung und Bauüberwachung anlässlich der Sanierung und des Umbaus einer Schule in der X-Straße 1 in Y. Das Bauvorhaben betraf energetische Maßnahmen an der Aula, den Einbau einer Mensa und den Anbau eines eingeschossigen Gebäudes für einen Musikraum (Anlage K 1). Es wurde im Februar 2011 fertiggestellt. Das Bauwerk wurde im März 2011 ohne ausdrückliche Abnahme der Architektenleistungen in Betrieb genommen.
Die am 23.04.2010 erteilte Baugenehmigung sieht die Verwendung nicht brennbaren Materials der Baustoffklasse A der DIN 4102 für
den Bodenbelag der Aula im Erdgeschoss der Treppenräume,
die unterseitige Verkleidung der in den Außenbereich ragenden Decke des ersten Obergeschosses der Aula,
die außenseitige Dämmung der Aula,
die außenseitige Dämmung des angebauten Musikraums und
die oberseitige Dämmung des Dachs des Musikraums
vor. Dem trägt die Leistungsbeschreibung des Beklagten, die der Bauausführung zugrunde lag, nur für das Dach des Musikraums Rechnung. Im Übrigen sah sie die Verwendung niedrigerklassigen "schwer entflammbaren" Materials vor. Dieses verwendete die bauausführende Firma A in allen genannten Bereichen.
Die Untere Bauaufsichtsbehörde des Kreises Z beanstandete die Ausführung des Bodenbelags mit Schreiben vom 19.09.2013 und verlangte von der Klägerin für die Dämmung den Nachweis der Ausführung mit nicht brennbarem Material (Anlage 2 im AnlBd. BA 2 OH 11/17). Mit E-Mail vom 14.09.2015 bat die Klägerin den Beklagten um die Übermittlung der Bestätigungen an die Behörde und um Klärung dieser Abweichungen.
Am 11.05.2017 leitete die Klägerin ein selbständiges Beweisverfahren zur Feststellung der genehmigungswidrigen Bauausführung ein. Die Beweisfragen erfassten die betroffenen Bereiche allerdings nicht vollständig (Bl. 2 d. BA). Der Sachverständige V stellte fest, dass die Planung und Ausführung mit schwer entflammbarem anstelle von nicht brennbarem Material nicht der Baugenehmigung entspreche. Für die Nachbesserung der von den Beweisfragen erfassten Bereiche ermittelte er Kosten in Höhe 3.478,70 EUR netto für die Erneuerung des Bodenbelags in den Treppenhäusern der Aula und weitere 51.477,82 EUR netto für die Anpassungen des Wärmedämmverbundsystems der Fassaden der Aula und des Musikraums mit einer Fläche von 235 m². Die Sowiesokosten für die Fassadensanierung setzte er mit 12.455,00 EUR netto an. Von dieser Kostenschätzung nicht umfasst ist die Nachbesserung des Daches des Musikraums. Diese werden in der Kostenberechnung eines Architekturbüros Ewers mit 17.214,50 EUR netto beziffert. Die Kosten der Nachbesserung ergeben zusammen 71.060,85 EUR brutto.
Am 09.10.2018 forderte die Klägerin von dem Beklagten erfolglos die Zahlung eines Teilbetrages von 42.501,52 EUR zur Herstellung eines den Vorgaben der Baugenehmigung entsprechenden Zustands.
Die Klägerin hat am 30.03.2020 eine Klage auf Zahlung eines Vorschusses zur Mängelbeseitigung nebst Feststellung weiterer Schadensersatzpflicht anhängig gemacht, die dem Beklagten am 22.04.2020 zugestellt worden ist. Während des Rechtsstreits ließ die Klägerin die betroffen...