Verfahrensgang
LG Kiel (Entscheidung vom 29.03.1996) |
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das am 29. März 1996 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kiel teilweise geändert und insgesamt neu gefaßt:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt,
a) an die Kläger (über vorprozessual gezahlte 2.000,- DM hinaus) ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 8.000,- DM nebst 4% Zinsen seit dem 19. Oktober 1995 zu zahlen;
b) an die Klägerin zu 1) ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,- DM nebst 4% Zinsen seit dem 19. Oktober 1995 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den Klägern sämtlichen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der ihnen aus dem tödlichen Unfall ihres Sohnes U. C. ab dem 7. Januar 1998 entstanden ist und künftig noch entstehen wird.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Kläger wird zurückgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszuges tragen die Kläger zu 81% und die Beklagten zu 19%. Die Kosten des Berufungsrechtszuges tragen die Kläger zu 78% und die Beklagten zu 22%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert der Beschwer beträgt für die Kläger 34.200,- DM und für die Beklagten 14.000,- DM.
Gründe
Die Berufung der Kläger ist teilweise begründet.
1.) Schmerzensgeldanspruch des verstorbenen Sohnes der Kläger
Mit Erfolg wenden sich die Kläger dagegen, daß das Landgericht den Schmerzensgeldanspruch ihres verstorbenen Sohnes mit nur "symbolischen" 2.000,- DM bemessen und folglich durch die von der Zweitbeklagten schon vorprozessual geleistete Zahlung in dieser Höhe als umfassend erfüllt angesehen hat. Ein derart geringfügiges Schmerzensgeld stellt keine "billige" Entschädigung für den Nichtvermögensschaden dar, den der Sohn der Kläger infolge des Unfalls vom 17. 2. 95 erlitten hat (Polytrauma mit Hirnstammblutung, malignem Hirnödem, Mittelgesichts- und Unterkieferfrakturen; Unterschenkelfraktur; sofortige Bewußtlosigkeit; Tod am 24. 2. 95, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben).
Schmerzensgelder der vom Landgericht ausgeurteilten symbolischen Größenordnung werden - soweit hier von Interesse- von den Gerichten zugesprochen, wenn der Verletzte bewußtlos nur wenige Stunden überlebt (vgl. z. B. OLG Stuttgart, 2. 5. 94, NJW 94, 3016; OLG Düsseldorf, 11. 3. 96, NJW 97, 806). Verlängert sich das Zwischenstadium zwischen Verletzung und Tod über diese kurze Zeitspanne hinaus -mag der Verletzte das auch nicht bewußt erleben-, sind seit jeher deutlich höhere Schmerzensgeldbeträge für angebracht gehalten worden (vgl. z. B. mit weiteren Nachweisen: OLG Hamm, 19. 4. 88, NJW-RR 88, 1301: 5.000,- DM bei Tod nach drei Tagen). Nachdem der Bundesgerichtshof im Jahre 1992 (NJW 93, 781) seine Rechtsprechung geändert hat und nunmehr eine eigenständige Bewertung derjenigen Schadensfälle fordert, die beim Geschädigten zu einem (weitgehenden) Verlust seiner Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit und damit zur fast vollständigen Zerstörung seiner Persönlichkeit geführt haben, sind unter Bezugnahme auf diese geänderte Rechtsprechung weitere obergerichtliche Entscheidungen zur Schmerzensgeldbemessung in Fällen baldigen Todes ohne Wiedererlangung des Bewußtseins ergangen (KG, 25. 4. 94, NJW-RR 95, 91: 4.800,- DM bei eintägigem Überleben; OLG Hamm, 21. 1. 97, r+s 97, 245: 28. 000,- DM bei zehntägigem Überleben im künstlichen Koma, die erste halbe Stunde nach dem Unfall bei vollem Bewußtsein [vom BGH durch Urteil vom 12. 5. 98 als nicht zu niedrig bestätigt]; OLG München, 4. 10. 95, OLG-Report 96, 111: 30.000,- bis 40.000,- DM bei Überleben von "wenigen Wochen"; OLG Oldenburg, 27. 6. 95, MDR 96, 54: bei Überleben von 3,5 Monaten keinesfalls mehr als 35.000,- DM; OLG München, 3. 5. 96, NZV 97, 440: 50.000,- DM bei 5 ½ monatigem Überleben).
Der Senat hält es in Übereinstimmung mit den genannten Oberlandesgerichten für sachgerecht, die neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Schmerzensgeldbemessung bei verletzungsbedingter Empfindungsunfähigkeit auch in solchen Fällen anzuwenden, in denen der Geschädigte bereits kurze Zeit nach dem Unfall stirbt, ohne sein Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Zwar steht in diesen Fällen - anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall- nicht das Weiterleben des Verletzten mit weitgehend zerstörter Persönlichkeit im Mittelpunkt des zu beurteilenden Schadensbildes. Gleichwohl erscheinen die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze für eine eigenständige Bewertung des immateriellen Schadens bei Verlust des Empfindungsvermögens auch hier anwendbar. Danach ist bei der Schmerzensgeldbemessung - soweit hier von Bedeutung- insbesondere abzustellen auf die Schwere der erlittenen Verletzungen und auf den Zeitraum zwischen Körperverletzung und Todeseintritt unter Einschluß der im Koma verbrachten Zeit; daß dem Geschädigten seine Verletzungen nicht zu Bewußtsein gekommen sind und daß er wegen Verlustes seines Empfindungsvermögens auch nicht unter Schmerzen gelitten ...