Entscheidungsstichwort (Thema)
Indizien für ein provoziertes Unfallgeschehen
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem provozierten Unfall werden bewusst bestimmte Verkehrssituationen zur Herbeiführung einer Kollision mit scheinbar klarer Verantwortlichkeit ausgenutzt. Die Täter nutzen dabei gezielt ihnen bekannte Besonderheiten der Verkehrsführung aus, um das ahnungslose Opfer (am besten allein im Auto sitzend) zu rammen.
2. Die gegnerische Haftpflichtversicherung trägt grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für eine behauptete Unfallmanipulation. Da ihr aber regelmäßig der Einblick in Motivation und Verhalten eines Anspruchstellers fehlt, kann der Nachweis einer Unfallmanipulation im Einzelfall durch den Nachweis einer ungewöhnlichen Häufung von Beweisanzeichen, die für eine Unfallmanipulation sprechen, erbracht werden. Zur Überzeugungsbildung bedarf es (lediglich) einer Gewissheit, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, nicht hingegen einer mathematisch lückenlosen Gewissheit.
3. Der Umstand, dass ein Fahrzeug innerhalb von rund 14 Monaten in insgesamt 5 Unfälle mit vermeintlich klarer Haftungslage verwickelt war, begründet erhebliche Zweifel daran, dass es sich dabei nur um ein rein "zufälliges" Schadensereignis gehandelt haben soll.
4. Weitere Indizien für eine Unfallmanipulation sind: hochwertiges Klägerfahrzeug (hier Mercedes Benz E-Klasse), bloßer Blechschaden und fiktive Abrechnung auf Gutachtenbasis.
5. Es liegt nach den Erfahrungen eines Spezialsenats für Verkehrsunfallsachen außerhalb jeder Lebenswirklichkeit, dass ein Fahrer innerhalb von rund 3,5 Jahren persönlich in insgesamt 9 Verkehrsunfälle verwickelt gewesen ist (alle fiktiv abgerechnet), die allesamt fremdverschuldet gewesen sein sollen.
Normenkette
BGB § 166; StVG §§ 7, 17-18; StVO § 7 Abs. 5
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 18.11.2020 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Schadenersatzansprüche aus einem vermeintlichen Verkehrsunfallgeschehen vom 24.05.2018 gegen 16.45 Uhr in P..
Im Übergang der M.straße in die S.straße, etwa auf Höhe der dort befindlichen Tankstelle, war es zu einer Kollision des Fahrzeuges der Klägerin, eines Mercedes Benz E 250 CDI Coupé, und eines bei der Beklagten zu 2) gegen Haftpflichtschäden versicherten, von der Beklagten zu 1) geführten Pkw VW Passat, gekommen. Fahrer des klägerischen Fahrzeuges war der Ehemann der Klägerin, der Zeuge TH.. Die Fahrzeuge standen zunächst nebeneinander an der Ampelanlage der M.straße (die Beklagte zu 1) auf der Linksabbiegespur und der Zeuge TH. rechts daneben) und bogen anschließend beide nach links in die S.straße ab. Zwischen den Fahrspuren gab es keine Fahrbahnmarkierung. Das von der Beklagten zu 1) geführte Fahrzeug geriet - zweitinstanzlich unstreitig - im Zuge des Abbiegens leicht nach rechts in die von dem Zeugen TH. befahrene Fahrspur. Dort kam es zur Kollision mit dem klägerischen Fahrzeug. Dieses erlitt Schäden insbesondere im linken Frontbereich, während das Beklagtenfahrzeug im rechten Heckbereich (Tür/Felge/hinterer rechter Kotflügel) Schäden aufwies.
Die Klägerin hatte ihr Fahrzeug gebraucht am 18.03.2017 zu einem Preis von (brutto) 26.800,00 EUR erworben (Anlage K 1). Im Jahr 2019 hat sie ihr Fahrzeug - im behauptet reparierten Zustand - wieder verkauft.
Im Zeitraum April 2017 - April 2018 war das Fahrzeug in 4 Unfälle verwickelt (03.04.2017, 13.05.2017, 05.06.2017 und 06.04.2018), wobei es lediglich am 03.04.2017 von der Klägerin geführt wurde, bei den übrigen Unfällen war der Zeuge TH. Fahrzeugführer. Die Schäden wurden - bei jeweils vermeintlich klarer Haftungslage zu Gunsten der Klägerin - sämtlichst fiktiv auf Gutachtenbasis abgerechnet, wobei die Schadengutachten jeweils vom Ingenieurbüro W. in W., dort von dem Kfz-Meister D., erstellt wurden.
Die Nettoschadensumme laut Gutachten (Anlagen K 6, K 8, K 10 und K 11) dieser 4 Schadenfälle belief sich auf 43.909,53 EUR, zuzüglich eines merkantilen Minderwertes von insgesamt 2.000,00 EUR. Die Klägerin ließ jeweils Reparaturarbeiten an dem Fahrzeug durch die Firma S. in P. durchführen. Die tatsächlich aufgewandten Reparaturkosten beliefen sich addiert auf insgesamt 12.994,80 EUR (brutto/Anlagen K 7, K 9 und K 12), wobei die Unfallschäden vom 03.04.2017 und 05.06.2017 zusammen bei der Firma S. repariert wurden (Rg. v. 23.06.2017, Anlage K 7).
Unstreitig hatte der Zeuge TH., von Beruf ..., in den Jahren 2015/2016 mit seinem damaligen Fahrzeug, einem Mercedes Benz E 200, insgesamt 5 Unfälle, die er - bei ebenfalls vermeintlich klarer Haftungslage - fiktiv auf Gutachtenbasis abgerechnet hat.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagten seien ihr zu vollem Schadenersatz verpflichtet, den sie (Aufstellung Bl. 3 d. A.) inklusive Sachverständigenkost...