Entscheidungsstichwort (Thema)
Scheidungsbegehren ggü. suizidgefährdeter Ehefrau
Leitsatz (amtlich)
1. Bei Suiziddrohung eines psychisch Kranken, der in der Steuerung seiner seelischen Reaktionen erheblich beeinträchtigt ist, darf die Ehe nicht geschieden werden, bis die ausreichende medizinische Betreuung des Kranken gesichert ist.
2. Zu den Obliegenheiten des die Scheidung begehrenden Ehepartners eines psychisch Kranken.
Normenkette
BGB § 1568
Verfahrensgang
AG Bad Segeberg (Urteil vom 15.04.2005; Aktenzeichen 13a F 365/02) |
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des AG - FamG - Bad Segeberg vom 15.4.2005 geändert und wie folgt gefasst:
Der Scheidungsantrag des Antragstellers wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.
Tatbestand
Die Parteien, beide deutsche Staatsangehörige, haben am 1990 vor dem Standesamt H. die Ehe geschlossen. Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Die Parteien leben seit August 2001 getrennt. Der Antragsteller begehrt die Scheidung der Ehe.
Für die Antragsgegnerin ist durch Beschluss des AG Bad Segeberg vom 13.10.2003 ein Betreuer bestellt worden, dessen Aufgabenkreis die Zustimmung zu ärztlichen Behandlungsmaßnahmen, Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten, Wahrnehmung des Schriftverkehrs mit Ämtern und Behörden und die Wahrnehmung der Interessen im Zusammenhang mit Scheidungs- und Scheidungsfolgeverfahren umfasst.
Der Antragsteller hat in erster Instanz beantragt, die am 1990 vor dem Standesamt H. geschlossene Ehe der Parteien zu scheiden.
Die Antragsgegnerin hat in erster Instanz beantragt, den Scheidungsantrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin hat in erster Instanz vorgetragen, sie sei stark depressiv veranlagt, was die Einrichtung der Betreuung erforderlich gemacht habe. Für den Fall der Scheidung der Ehe müsse, ohne dass dies für sie steuerbar sei, in erhöhtem Maß mit einem Suizid gerechnet werden. Unter diesen Umständen habe ihr Gesundheitszustand Vorrang ggü. dem Wunsch des Ehemannes auf Scheidung der Ehe. Sie glaube noch immer fest daran, dass die Ehe der Parteien nicht gescheitert sei. Andernfalls wäre ihre gesamte Lebensplanung hinfällig.
Das AG hat ein schriftliches Gutachten zu der Frage eingeholt, ob das von dem Antragsteller auf Grund der Ende August 2001 vollzogenen Trennung der Parteien betriebene Ehescheidungsverfahren für die Antragsgegnerin von existenzbedrohender Bedeutung ist, weil sie mangels Einsicht in das Scheitern ihrer Ehe sowie auf Grund ihrer starken Depressionen für den Fall, dass die Ehe auch ohne ihr Einverständnis geschieden werden sollte, konkret suizidgefährdet ist. Auf das psychiatrische Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie S. vom 31.1.2005 wird Bezug genommen.
Das AG hat die Ehe der Parteien geschieden, den Antragsteller verurteilt, ab Rechtskraft der Scheidung an die Antragsgegnerin einen monatlichen Unterhalt i.H.v. 383,47 EUR zu zahlen und ferner den Versorgungsausgleich geregelt. Es hat ausgeführt, dass die Voraussetzungen der Härteklausel des § 1568 BGB nicht vorlägen. Auf die Gründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Berufung. Sie trägt vor, für sie sei die Scheidung eine so große Härte, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheine. Zutreffend führe das AG aus, dass sie auch nach dem eingeholten Gutachten im Falle einer Scheidung in höchstem Maße suizidgefährdet sei. Anstatt jedoch das Scheidungsverfahren auszusetzen und eine längere stationäre Behandlung abzuwarten, führe das Gericht aus, dass jetzt schon eine Scheidung möglich sei, weil ein Suizidversuch einen vollendeten Selbstmord nicht zwingend erwarten lasse. Jedoch könne jeder Suizidversuch das Leben beenden, und zwar entweder gewollt oder auch ungewollt. Es dürfe nur darauf abgestellt werden, ob ein solcher Suizidversuch überhaupt mit hoher Wahrscheinlichkeit für den Fall der Scheidung zu erwarten sei. Gerade dies aber werde von dem Gutachter bejaht. In einem derartigen Fall überwiege das Interesse am Leben das Interesse des Antragstellers auf Scheidung.
Es werde bestritten, dass der Antragsteller nach der Scheidung erneut heiraten möchte. Ihm sei in der heutigen Zeit auch ohne weiteres ein Zusammenleben mit einer anderen Frau zumutbar, wenn eine konkrete Suizidgefahr bei ihr anzunehmen sei. Sie sei unter Betreuung gestellt worden, weil sie keinerlei Einsichtsfähigkeit mehr habe und entsprechend gefährdet sei. Der Gutachter führe die Möglichkeit auf, die Umstände zu ändern, die einer Scheidung entgegenstünden, und zwar durch eine Therapie in stationärer Behandlung. Bis zu deren Beendigung jedenfalls - so werde das Gutachten verstanden - scheide ein Scheidungsausspruch aus.
Das Gericht verstoße auch gegen Denkgesetze, wenn es einerseits einen Suizidversuch für den Fall der Scheidung als höchstwahrscheinlich unterstelle, dann aber die Erwägung anstelle, dass nicht jede...