Entscheidungsstichwort (Thema)
Herstellerhaftung bei PKW-Brand. deliktische Produkthaftung. Inverkehrbringen. Beweislast. Anscheinsbeweis
Leitsatz (amtlich)
Ein auf einen Erfahrungssatz gestützter Anscheinsbeweis, dass Fehler in der Fahrzeugelektrik eines dreiviertel Jahr alten Pkw mit einer Laufleistung von 25.000 km stets dem Organisationsbereich des Herstellers zuzuordnen sind und bereits beim Inverkehrbringen des Fahrzeugs bestanden, kann jedenfalls dann nicht angewendet werden, wenn der abgebrannte Pkw vor der Begutachtung durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen von dem Geschädigten verwertet wurde.
Normenkette
ProdHaftG § 3; BGB § 823; ZPO § 286
Verfahrensgang
Tenor
Das Urteil des Landgerichts Kiel vom 19.08.2011, Az.: 5 O 274/09, wird auf die Berufung der Beklagten vom 15.09.2011 geändert und die Klage abgewiesen. Die Anschlussberufung der Klägerin vom 22.11.2011 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 18.683,45 € festgesetzt.
Gründe
I. Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens wird auf die Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Beklagte zum Ersatz eines Schadens in Höhe von 17.348,45 € verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zwar könne die Klägerin keine Ansprüche aus dem Produkthaftungsgesetz gegen die Beklagte geltend machen, da der zerstörte Opel Astra der gewerblichen Tätigkeit des Eigentümers zuzuordnen sei, doch ergebe sich ein Schadensersatzanspruch aus der deliktischen Produkthaftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB. Die Beklagte hafte wegen des Inverkehrbringens eines fehlerhaften Produkts. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe das Fahrzeug zur Überzeugung des Gerichts einen Produktfehler im Sinne von § 3 ProdHaftG aufgewiesen. Es könne offen bleiben, ob es sich hierbei um einen Konstruktionsfehler oder einen Fabrikationsfehler gehandelt habe. Aufgrund der Erläuterungen des Sachverständigen könne festgestellt werden, dass der Brand des Opel Astra auf einen elektrischen Fehler zurückzuführen sei. Zwar habe der Sachverständige den genauen Brandherd nicht feststellen können, da ihm das Fahrzeug selbst nicht mehr zur Untersuchung zur Verfügung gestanden habe, doch habe er erkennen können, dass der Brand im Motorbereich entstanden sei. Außerdem habe er drei Brandschwerpunkte im Motorraum ausmachen können, nämlich den Starter, die Batterie und den Lüftungsmotor des Kühlers. Da das Fahrzeug bei Ausbruch des Brandes bereits eine Stunde abgestellt gewesen sei, scheide auch ein heißer Motor als Brandursache aus. Brandstiftung habe der Sachverständige für nahezu ausgeschlossen gehalten. Deshalb stehe fest, dass das Feuer im Motorraum aufgrund eines elektrischen Fehlers entstanden sei. Da der Fehler in jedem Falle der Elektrotechnik anhafte, komme es auch nicht darauf an, welche der drei beschriebenen Brandherde tatsächlich ursächlich für den späteren Brand geworden sei. Ein Fehler in der Elektrik in einem dieser drei Aggregate falle in den Verantwortungsbereich des Herstellers. Der Fehler habe nach Überzeugung der Kammer auch schon bei Auslieferung des Fahrzeugs vorgelegen. Immerhin sei das Fahrzeug erst ein dreiviertel Jahr alt gewesen und habe lediglich eine Kilometerleistung von 25.000 km aufgewiesen, als es zerstört worden sei. Entstehe in einem fast neuen auf lange Nutzung ausgelegten Fahrzeug bei üblicher Benutzung und abgestelltem Zustand ein fehlerhafter Stromfluss, der zu einem Entflammen führe, so sprächen alle Umstände dafür, dass der ursächliche elektrische Fehler dem Fahrzeug schon beim Inverkehrbringen angehaftet habe. Ein Fehler in der Elektrik eines nicht einmal ein Jahr alten Fahrzeugs sei nicht abnutzungsbedingt. Fremde Einflüsse seien nicht erkennbar. Es seien keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich, wonach nach dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs durch Einwirkung von außen an der Elektrik des Fahrzeugs Veränderungen vorgenommen worden seien. Eine unsachgemäße Handhabung durch die Eigentümerin sei fernliegend. Das an die Fahrzeugbatterie ein Starthilfekabel für ein anderes Fahrzeug z. B. mit falscher Polung angeschlossen worden sein könnte, stelle lediglich eine Mutmaßung der Beklagten dar und sei ersichtlich ins Blaue erhoben worden. Da vorliegend der Fehler auf ein kleines Bauteil des zerstörten Fahrzeugs beschränkt gewesen sei, liege auch keine Stoffgleichheit vor, so dass der Schaden an dem fehlerhaften Produkt selbst nach Deliktsrecht zu ersetzen sei.
Die einzelnen Schadenspositionen seien bis auf die Bodensanierungskosten hinreichend substantiiert dargelegt worden. Insoweit greife die Ersatzpflicht der Beklagten ein.
Die Beklagte wendet sich gegen das landgerichtliche Urteil mit nachfolgenden Erwägungen:
- Die Entscheidung des Landgerichts sei bereits deswegen rechtsfehlerhaft, weil sie in Bezug auf die Zers...