Entscheidungsstichwort (Thema)
KCanG. Strafrahmenwahl. nicht geringe Menge. besonders schwerer Fall. Freigrenze. Gesundheitsschutz. Entkriminalisierung. Gesamtbeschlagnahme. Einziehung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Grenzwert der nicht geringen Menge liegt auch nach der Einführung des KCanG bei 7,5 Gramm THC, weil sich an der Beurteilung der Gefährlichkeit von Cannabis hinsichtlich dessen Wirkungsweise und Wirkungsintensität nichts geändert hat.
2. Bei den in § 34 Abs. 1 und 2 KCanG festgelegten Mengen handelt es sich um Freigrenzen. Werden diese überschritten, ist der gesamte Besitz strafbar und unterliegt deshalb insgesamt der Beschlagnahme und Einziehung.
3. Dem gesetzgeberischen Ziel der Entkriminalisierung beim Umgang mit Cannabis ist allerdings auf der Rechtsfolgenseite Rechnung zu tragen, weil der Schuldumfang aufgrund der begrenzten Straflosigkeit des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis geringer ist. Mengen, die ohne Überschreitung der Freigrenzen legal besessen, angebaut oder erworben worden wären, sind daher bei der Anwendung des Strafrahmens von § 34 Abs. 4 KCanG auszunehmen.
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
Der Grenzwert der nicht geringen Menge bei Cannabis liegt auch nach neuer Rechtslage bei 7,5 Gramm THC.
Sind die Grenzmengen nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KCanG überschritten, ist der gesamte Besitz strafbar und unterliegt der Beschlagnahme sowie der Einziehung.
Normenkette
KCanG §§ 2, 34 Abs. 1-2
Verfahrensgang
AG Lübeck (Entscheidung vom 19.04.2024; Aktenzeichen 93 Ls 713 Js 41681/21) |
Tenor
Das Urteil des Amtsgerichts Lübeck - Schöffengericht - vom 19. April 2024 (93 Ls 713 Js 41681/21) wird im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, wobei die zugehörigen Feststellungen Bestand haben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Schöffenabteilung des Amtsgerichts Lübeck zurückverwiesen.-
Gründe
I.
Das Schöffengericht hat den Angeklagten wegen des unerlaubten Besitzes von Cannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 1c) KCanG schuldig gesprochen. Im Rechtsfolgenausspruch hat es auf Grundlage von § 59 StGB eine Verwarnung mit Strafvorbehalt erteilt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 45,00 € vorbehalten.
Zur Sache hat das Schöffengericht folgende Feststellungen getroffen:
"Bei der Wohnungsdurchsuchung am 20.09.2021 verfügte der Angeklagte in seiner Wohnung ... über sechs Cannabispflanzen. Diese Pflanzen hatte der Angeklagte einige Monate zuvor auf seinem Balkon für seinen Eigenkonsum angebaut. Die Polizeibeamten schnitten die Pflanzen, die etwa 2 Wochen vor der Ernte standen, vollständig ab. Die 1.202,40 Gramm netto Blatt- und Blütenspitzenmaterial enthielten nach der kriminaltechnischen Untersuchung bei einem durchschnittlich verfügbaren THC-Gehalt von 3,12 % insgesamt 37,5 Gramm des Wirkstoffes THC. Ferner bewahrte der Angeklagte weitere 3,92 Gramm netto Blütenspitzenmaterial in einer leeren WC-Rolle auf."
Das Schöffengericht hat die Annahme eines besonders schweren Falles gemäß § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG abgelehnt. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfes sei die Grenze der nicht geringen Menge von bisher 7,5 Gramm THC nicht mehr maßgeblich. Unter Berücksichtigung der legalisierten Besitzmengen werde der Grenzwert, der nach der Rechtsprechung zu entwickeln sei, deutlich höher liegen. Angesichts der bis zur seiner Entscheidung ergangenen Rechtsprechung und veröffentlichten Literaturbeiträge sei bei einem "lediglich" zweifachen Überschreiten der erlaubten Besitzmenge das Vorliegen eines besonders schweren Falles zu verneinen.
Hiergegen richtet sich die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft, mit welcher sie wegen der Nichtannahme eines besonders schweren Falles nach § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG die Verletzung materiellen Rechts rügt und beantragt hat,
das Urteil in vollem Umfang aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel beigetreten und hat sich hierbei maßgeblich auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 18., 23. und 24. April 2024 (1 StR 106/24, 5 StR 153/24 und 4 StR 50/24) sowie des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 9. April 2024 (5 Ws 19/24) bezogen. Das Amtsgericht habe das Regelbeispiel des unerlaubten Besitzes von Cannabis in "nicht geringer Menge" gemäß § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG rechtsfehlerhaft abgelehnt. Die dortige Regelung knüpfe sowohl im Wortlaut als auch in der Zielsetzung an § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG an. Dem beabsichtigten besseren Gesundheitsschutz von Konsumenten liefe es unbeschadet der nach der gesetzlichen Neuregelung geringeren Strafwürdigkeit zuwider, die Mengengrenze nicht in Abhängigkeit von der Gefährlichkeit, also vom Wirkstoffgehalt, zu bestimmen. Die Gesetzesbegründung, mit welcher eine andere Erwartung an die Rechtsprechung dahin verknüpft gewesen sei, dass der Grenzwert zukünftig "deutlich höher liegen" müsse, spreche nicht dagegen, mit ...