Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich Kontrolle ordnungsgemäßer Reinigungsarbeiten nach Beendigung einer Baustelle

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Verkehrssicherungspflicht des Straßenbaulastträgers für den Bereich einer Baustelle kann nicht vollständig auf die bauausführende Firma übertragen werden. Es verbleiben eigene Aufsichts- und Überwachungspflichten.

2. Das Verweisungsprivileg aus § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB (subsidiäre Haftung) kommt bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten im Straßenraum grundsätzlich nicht zum Zuge.

3. Für die örtliche Zuständigkeit verschiedener Baulastträger untereinander wird grundsätzlich auf den Ort des Vorliegens der Straßenbeeinträchtigung abgestellt. Für Kreuzungen von Bundes- und Gemeindestraßen gilt, dass den Träger der höheren Straßengruppe (Land) die Unterhaltungspflicht für die Breite seiner Straße trifft und nur im Übrigen der Träger der kreuzenden Straße (Gemeinde) zuständig ist.

4. Die Warnfunktion eines Baustellenschildes gilt solange fort, bis sie entweder durch eine Beschilderung aufgehoben wurde oder der äußere Anblick der Straße eindeutig die Beendigung der Baustelle indiziert.

5. Die Verkehrssicherungspflicht erstreckt sich auch auf die Kontrolle ordnungsgemäßer Reinigungsarbeiten (hier die Beseitigung von Rollsplitt) nach Beendigung einer Baustelle. Es genügt nicht, im Zuge von Reinigungsarbeiten auf einer Landesstraße den vorhandenen Rollsplitt im Bereich von Einmündungen/Kreuzungen auf die benachbarte Gemeindestraße zu fegen. Ein Verweis des Landes auf die mangelnde örtliche Zuständigkeit für die in diesem Fall betroffene Gemeindestraße übersieht, dass es nicht um die Zustandshaftung für die Straße eines anderen Baulastträgers geht, sondern um die mangelhafte Kontrolle von Reinigungsarbeiten der eigenen Straße.

 

Normenkette

BGB § 249 Abs. 1, § 839 Abs. 1 S. 2; GG Art. 34; StrWG SH § 10 Abs. 4, § 46

 

Tenor

1) Die Berufung des beklagten Landes und der Streithelferin gegen das am 6. März 2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird zurückgewiesen.

2) Das beklagte Land trägt die Kosten der Berufung mit Ausnahme der notwendigen Auslagen der Streithelferin, die diese selbst zu tragen hat.

3) Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht Ansprüche aus Verkehrssicherungspflichtverletzung gegen das beklagte Land geltend. Streithelferin ist das von dem Beklagten mit der Straßensanierung beauftragte Bauunternehmen.

Die Klägerin ist die gesetzliche Krankenversicherung des H. (im Folgenden: Geschädigter).

Der damals 16-jährige Geschädigte befuhr am 17. Juli 2017 gegen 21.45 Uhr mit seinem Motorroller in N. die Landesstraße B.straße. Für diese Straße wurde in der damaligen Zeit die Fahrbahndecke durch die Streithelferin erneuert. Von der Landesstraße bog der Geschädigte nach links in die Gemeindestraße "Im K." ab. Bereits im Einmündungsbereich auf der Gemeindestraße befindlich kam der Geschädigte mit dem Zeugen M. auf dem Sozius zum Sturz und zog sich hierbei auch Verletzungen zu. Er wurde vom 17. Juli 2017 - 20. Juli 2017 stationär im Klinikum N. behandelt, u.a. erfolgte eine rekonstruktive Operation des linken Knies unter Vollnarkose. Die Klägerin zahlte für Heilbehandlungskosten insgesamt 5.549,20 EUR, die sie in diesem Verfahren mit dem Klagantrag zu 1 geltend gemacht hat. Darüber hinaus hat sie Feststellung der Eintrittspflicht zum Ersatz sämtlicher weiteren Schadensersatzansprüche aus dem Unfallereignis verlangt, soweit diese gemäß § 116 SGB X auf sie übergegangen sind.

Die Klägerin hat behauptet, im Einmündungsbereich der Straße "Im K." habe sich aufgrund der Straßenarbeiten in der B.straße Rollsplitt befunden, auf diesem sei der Geschädigte mit dem Roller seitlich weggerutscht und zu Fall gekommen. Auf das Vorhandensein von Rollsplitt sei nicht ausreichend hingewiesen worden. Lediglich 400 m vor der Unfallstelle habe sich ein Hinweisschild auf Rollsplitt befunden, bis zur Unfallstelle sei dann aber kein Rollsplitt mehr vorhanden gewesen.

Das beklagte Land hat behauptet, soweit Rollsplitt vorhanden gewesen sei, sei jedenfalls durch entsprechende Hinweisschilder darauf hingewiesen worden. Die auf die Streithelferin übertragenen Verkehrssicherungspflichten seien regelmäßig durch die Straßenmeisterei überwacht worden, wobei Gefahren oder Unregelmäßigkeiten nicht festgestellt worden seien. Im Übrigen sei das Land für den Anspruch nicht passivlegitimiert, da der Unfall auf einer Gemeindestraße stattfand. Zudem träfe sie lediglich eine subsidiäre Haftung.

Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung) überwiegend, nämlich nach einer Haftungsquote von 70 %, stattgegeben. Aufgrund der Angaben der Zeugen H. und M. stehe fest, dass der Geschädigte im Einmündungsbereich der Straße "Im K." wegen Rollsplitts zu Fall gekommen sei. Die Schilderung der Zeugen passe auch zu den vorgelegten Fotos der Örtlichkeiten, insbesond...

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