Rz. 90
Werden mehrere Verfahren nebeneinander geführt, so liegen stets verschiedene Angelegenheiten vor. Soweit teilweise die Auffassung vertreten wird, mehrere Gerichtsverfahren seien als eine Angelegenheit anzusehen, wenn ihnen ein einheitlicher Auftrag zugrunde liege, die Tätigkeit des Anwalts den gleichen Rahmen habe und ein innerer Zusammenhang bestehe, ist dies unzutreffend, da die drei vorgenannten Kriterien lediglich für die außergerichtlichen Angelegenheiten gelten. In gerichtlichen Angelegenheiten stellen mehrere parallele Verfahren stets auch verschiedene Angelegenheiten i.S.d. § 17 Nr. 1 dar.
Beispiel 1: Der Mandant beauftragt seinen Anwalt, vor dem Sozialgericht drei Untätigkeitsklagen wegen dreier nicht beschiedener Widersprüche zu erheben.
Das LSG Mainz hat insoweit eine einzige Angelegenheit angenommen. Dies ist unzutreffend. Da hier drei Klagen eingereicht worden sind, liegen auch drei Angelegenheiten vor. Eine andere Frage mag sein, ob die Partei die entstandenen Kosten in voller Höhe erstattet verlangen kann oder ob sie sich im Rahmen der Kostenerstattung entgegenhalten lassen muss, dies sei nicht notwendig gewesen; es sei vielmehr günstiger gewesen, die Klagen in einem Verfahren zusammenzufassen. Auf das Entstehen der Gebühren hat dies jedoch keinen Einfluss. Der Grundsatz, dass verschiedene gerichtliche Verfahren auch jeweils eigene Gebühren auslösen, gilt uneingeschränkt, und zwar sowohl in Angelegenheiten des VV Teil 3 als auch in Angelegenheiten nach VV Teil 4 bis 6.
Beispiel 2: Die Staatsanwaltschaft ermittelt in zwei getrennten Verfahren gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts mehrerer BtM-Verstöße.
Auch wenn hier der strafrechtliche Vorwurf der gleiche ist, handelt es sich um zwei verschiedene Angelegenheiten, da zwei Ermittlungsverfahren eröffnet worden sind. Solange sie nicht verbunden werden, liegen getrennte Angelegenheiten vor.
Wird ein Rechtsanwalt in mehreren gleichartigen Bußgeldverfahren für einen Betroffenen tätig, so handelt es sich bei jedem einzelnen Verfahren um eine Angelegenheit i.S.d. § 15, für welche die Gebühren und Auslagenpauschale jeweils gesondert anfallen. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsanwalt seine Ausführungen unter Bezugnahme auf die einzelnen Bußgeldverfahren in jeweils einem Schriftsatz zusammengefasst hat.
Rz. 91
Es liegen sogar dann verschiedene Angelegenheiten vor, wenn der Gegenstand der verschiedenen gerichtlichen Verfahren identisch ist. Erhebt ein Kläger unzulässigerweise dieselbe Klage zweimal, so liegen zwei verschiedene Angelegenheiten vor. Ob der Anwalt des Klägers die Gebühren geltend machen kann, mag dahinstehen. Der Anwalt des Beklagten, der sich für seinen Mandanten in beiden Verfahren gegen die erhobenen Ansprüche verteidigen muss, kann auf jeden Fall beide Angelegenheiten abrechnen.
Rz. 92
Erst dann, wenn verschiedene Verfahren miteinander prozessual verbunden werden, liegt auch gebührenrechtlich eine Angelegenheit vor (siehe Rdn 181 ff.).
Rz. 93
Die einzige Ausnahme zu diesem Grundsatz enthält § 16 Nr. 10. Werden gegen denselben Kostenfestsetzungsbeschluss mehrere Erinnerungen oder Beschwerden erhoben, liegt jeweils nur eine Angelegenheit vor; die Werte werden nach § 22 Abs. 1 addiert. Das Gleiche gilt, wenn gegen den Kostenansatz mehrere Erinnerungen erhoben werden. Werden dagegen zugleich Erinnerungen gegen den Kostenansatz und gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss erhoben, liegen zwei verschiedene Angelegenheiten vor (im Einzelnen siehe § 16 Rdn 46 ff.).