Rz. 80
Auslegungsprobleme ergeben sich auch bei vorzeitiger Erledigung der Angelegenheit, wenn in der Vereinbarung nicht geregelt ist, welche Vergütung oder Teilvergütung dem Anwalt für diesen Fall zustehen soll. Ursache für eine vorzeitige Beendigung des Auftrags wird zumeist die Niederlegung des Mandats durch den Anwalt oder die Entziehung des Mandats durch den Mandanten sein. In Einzelfällen kann jedoch auch eine vorzeitige Beendigung aus berufsrechtlichen (z.B. Verlust der Zulassung, Tätigkeitsverbot nach § 43a Abs. 4 BRAO) oder persönlichen Gründen (schwere Erkrankung oder Tod des Einzelanwalts) in Betracht kommen.
Rz. 81
Unproblematisch ist die Berechnung, wenn sich die vereinbarte Vergütung am Leitbild des RVG orientiert, wenn also lediglich höhere Gebührenbeträge oder höhere Gegenstandswerte vereinbart worden sind, sich an den Gebührentatbeständen jedoch strukturell nichts ändert. In diesem Fall kann nach der vergütungsrechtlichen Sonderregelung des § 15 Abs. 4 verfahren werden.
Beispiel: In einem Verfahren auf Zugewinnausgleich vereinbaren die Parteien, nach einem Streitwert von 200.000 EUR abzurechnen. Vor der mündlichen Verhandlung kündigt der Auftraggeber das Mandat; eine Terminsgebühr ist auch nicht schon anderweitig ausgelöst worden.
Der Anwalt kann hier die Verfahrensgebühr (VV 3100) aus dem Wert von 200.000 EUR verlangen. § 15 Abs. 4 ist hier entsprechend anwendbar. Die Terminsgebühr (VV 3104) erhält er dagegen nicht mehr.
Rz. 82
Die Vorschrift des § 15 Abs. 4 ist dagegen nicht anwendbar, wenn sich die Vereinbarung wesentlich vom gesetzlichen Gebührentatbestand unterscheidet, also insbesondere bei Zeit- oder Pauschalhonoraren. Bei diesen Vergütungsmodellen ist die vereinbarte Vergütung entsprechend § 628 Abs. 1 S. 1 BGB auf einen Teilbetrag herabzusetzen.
Beispiel: Die Parteien vereinbaren für die Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft ein Pauschalhonorar in Höhe von 20.000 EUR. Der Auftraggeber kündigt das Mandat vorzeitig.
Rz. 83
Hier ist das Pauschalhonorar nach § 628 Abs. 1 S. 1 BGB auf den Teil der Vergütung zu reduzieren, der der bisherigen Tätigkeit des Anwalts entspricht. Ist das so berechnete Teilhonorar immer noch unangemessen hoch, kommt ergänzend eine Herabsetzung nach Abs. 2 in Betracht.
Rz. 84
Wird die Kündigung des Anwalts durch ein vertragswidriges Verhalten des Auftraggebers veranlasst, ist § 628 Abs. 1 S. 1 BGB nicht anwendbar; dem Anwalt steht die vereinbarte Vergütung zu. Er muss sich jedoch ersparte Aufwendungen sowie die Möglichkeit, seine Arbeitszeit anderweitig gewinnbringend einzusetzen, anrechnen lassen. Hat der Anwalt das Mandat vorzeitig niedergelegt, ohne durch ein vertragswidriges Verhalten des Mandanten hierzu veranlasst worden zu sein, muss er hingegen nach den Grundsätzen des § 628 Abs. 1 S. 2 BGB eine Minderung seines Honoraranspruchs hinnehmen. Dies gilt auch bei einem Anwaltswechsel. Beauftragt der Mandant nach der Mandatsbeendigung durch den zunächst beauftragten Anwalt einen neuen Anwalt, erfolgt die Reduktion des Vergütungsanspruchs des Erstbeauftragten in dem Umfang, in dem der Mandant einen anderen Anwalt beauftragen muss, für den die gleichen Gebühren nochmals entstehen.
Rz. 85
Hat umgekehrt der Anwalt durch sein pflichtwidriges Verhalten die Kündigung des Mandanten veranlasst, kann dieser den anwaltlichen Vergütungsanspruch kraft Gesetzes nicht kürzen. Eine Minderung der Vergütung wegen einer behaupteten Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages scheidet mit Blick auf dessen Rechtsnatur aus; dem Dienstvertragsrecht ist ein solcher Gewährleistungsanspruch fremd. Vielmehr findet auch insoweit § 628 Abs. 1 S. 2 BGB Anwendung. Eine Veranlassung in diesem Sinne setzt allgemein eine vom Dienstverpflichteten nach §§ 276, 278 BGB zu vertretende Vertragsverletzung voraus. Bei einem Anwaltsvertrag als einem Dienstverhältnis höherer Art kann freilich nicht jede Pflichtverletzung zu einer Anspruchskürzung nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB führen. Vielmehr kommt eine Minderung der Vergütung bei der gebotenen einschränkenden Auslegung des Merkmals "Vertretenmüssen" nur dann in Frage, wenn der Anwaltsvertrag auch nach § 626 BGB hätte gekündigt werden können und eine zu vertretende Vertragsverletzung i.S.d. §§ 276, 278 BGB vorliegt. Entzieht der Mandant das Mandat ohne wichtigen Grund, muss sich der Anwalt eine Kürzung seiner Vergütung nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB auch dann nicht gefallen lassen, wenn seine Leistungen für den Mandanten ohne Interesse sind. Unter diesen Umständen führt auch die Entstehung neuer Gebühren infolge der Beauftragung eines neuen Rechtsanwalts nicht zu einem Interessenwegfall.
Rz. 86
Strittig ist, ob die Vorschrift des § 628 Abs. 1 S. 1 BGB abbedungen werden kann. Dies bedeutet, dass die Pauschalvergütung auch dann zu zahlen ist, wenn das Mandat vorzeitig endet. Eine solche Vereinbarung ist zulässig. Unzulässig ist eine solche Vereinbarung jedoch, wenn abzusehen ist, dass es kurzfristig zur vorzei...