Peter Fölsch, Norbert Schneider
Rz. 24
Soweit eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch gerichtliche Entscheidung auf einen Mehrvergleich erstreckt wird, ist in der Rechtsprechung außerhalb des Anwendungsbereichs von Abs. 3 (Ehesachen und bestimmte Lebenspartnerschaftssachen) insbesondere in Familienstreitsachen und FamFG-Familiensachen sehr umstritten, ob gegen die Staatskasse die Verfahrensdifferenzgebühr, die Terminsdifferenzgebühr und die Einigungsgebühr festgesetzt werden können. Vertreten wird, dass aus der Staats- oder Landeskasse
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die Verfahrensdifferenzgebühr, Terminsdifferenzgebühr und Einigungsgebühr |
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nur die Einigungsgebühr |
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jedenfalls nicht die Terminsgebühr |
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die Verfahrensdifferenzgebühr und Terminsdifferenzgebühr bei engem Zusammenhang zwischen dem eigentlichen Verfahrensgegenstand und dem zusätzlichen Gegenstand des Mehrvergleichs |
zu vergüten ist.
Bei diesem Streit wird teilweise die Frage aufgeworfen, ob die Fallgestaltung parallel zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Abschluss des Vergleichs im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren zu behandeln ist. Auch dort ist umstritten, welche Prozesskostenhilfevergütung gegen die Staats- oder Landeskasse festzusetzen ist (siehe hierzu auch Rdn 169).
Rz. 25
Der Gesetzgeber hat zu der gesetzlichen Erstreckung von Verfahrenskostenhilfe auch nicht rechtshängiger Gegenstände nach Abs. 3 für Beiordnungen in Ehesachen klargestellt, dass die Erstreckung im Falle eines Vergleichsabschlusses Verfahrensdifferenzgebühr, Terminsdifferenzgebühr und Einigungsgebühr umfassen soll. Entsprechendes kann dann für die Erstreckung der Prozesskostenhilfebewilligung durch gerichtliche Entscheidung auf Mehrvergleichsverhandlungen einschließlich des Abschlusses eines Mehrvergleichs gelten, wenn in dem Beschluss eine zu Abs. 3 parallele Tenorierung gewählt ist. Aus Abs. 3 lässt sich nicht im Wege eines Umkehrschlusses ableiten, dass außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift die Bewilligung von VKH/PKH für den Abschluss eines Mehrvergleichs nicht auf die Verfahrens- und Terminsgebühr erstreckt werden kann.
Muster: Beschlussformel für die Erstreckung von Prozesskostenhilfe für Mehrvergleichsverhandlungen:
"Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erstreckt sich auf alle mit der beabsichtigten Herbeiführung einer Einigung erforderlichen Tätigkeiten, die Verhandlungen über die Einigung (…) (genaue Bezeichnung der in diesem Verfahren nicht rechtshängigen Gegenstände) betreffen."
Rz. 26
Dieser Streit ist überdies höchstrichterlich geklärt: Schließen die Parteien/Beteiligten außerhalb des Anwendungsbereichs von Abs. 3 einen Vergleich unter Einbeziehung nicht anhängiger Streit- oder Verfahrensgegenstände (Mehrvergleich), hat die/der unbemittelte Partei/Beteiligte einen Anspruch auf Erweiterung der ihr/ihm bewilligten Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres/seines Bevollmächtigten auf sämtliche in diesem Zusammenhang ausgelöste Gebühren. Unerheblich ist dabei, ob dieser Anspruch im Wege der Auslegung einer bereits erfolgten Bewilligung oder im Wege einer ergänzenden Beschlussfassung zustande kommt. Selbst wenn also keine ausdrückliche Erweiterung der Beiordnung auf die mit dem Mehrvergleich verbundenen Gebühren erfolgt ist, besteht insoweit ein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse.
Rz. 27
Da die gesetzliche Vergütung des Rechtsanwalts für die Mitwirkung an einem (Mehr-)Vergleich sich nicht in der Einigungsgebühr aus dem erhöhten Vergleichswert erschöpft, sondern sich auch auf die Differenzverfahrens- und -terminsgebühr erstreckt, widerspräche eine Beschränkung der Verfahrenskostenhilfe auf die Einigungsgebühr nicht nur dem Grundsatz des § 45 Abs. 1, wonach der beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung aus der Staatskasse erhält. Es bliebe auch unberücksichtigt, dass die genannten Differenzgebühren in einem engen Zusammenhang mit dem Abschluss des Mehrvergleichs stehen, die Verfahrensgebühr sogar als Betriebs- bzw. Tätigkeitsgebühr untrennbar mit der Entstehung der Einigungsgebühr verbunden ist. Außerdem darf der unbemittelte Verfahrensbeteiligte darauf vertrauen, aufgrund der für den Abschluss des Mehrvergleichs bewilligten PKH bzw. VKH von sämtlichen Gebührenansprüchen freigestellt zu werden, die seinem beigeordneten Rechtsanwalt zustehen.
Rz. 28
Das KostRÄG 2021 stellt das in Abs. 1 S. 2 ausdrücklich klar: Dort wird diese Rspr. des BGH aufgegriffen und auch für alle anderen Verfahren neben den von § 48 Abs. 3 erfassten Ehesachen angeordnet, dass im Falle der Erstreckung der Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags i.S.d. VV 1000 oder der Beschränkung der Beiordnung oder der Bewilligung der Prozesskostenhilfe hierauf der Anspruch gegen die Staatskasse alle gesetzlichen Gebühren und Auslagen umfasst, die durch die Tätigkeiten entstehen, die zur Herbeiführung der Einigung erforderlich sind.
Beispiel: Der Rechtsanwalt ist im Prozess wegen einer Klageforderung über 10.000 EUR tätig und wird hierfür im Wege der PKH beigeordnet. Im...