Rz. 25
Nach Abs. 1 S. 2 darf für die anwaltliche Tätigkeit in einem gerichtlichen Verfahren für den Fall des Misserfolgs vereinbart werden, dass keine oder eine geringere als die gesetzliche Vergütung zu zahlen ist, wenn für den Erfolgsfall ein angemessener Zuschlag auf die gesetzliche Vergütung vereinbart wird. Diese ergänzende Bestimmung für das Erfolgshonorar ist im Kontext des § 49b Abs. 1 BRAO notwendig. Nach dem dort statuierten Gebührenunterschreitungsverbot darf der Anwalt keine geringere Vergütung vereinbaren, als es das RVG zulässt, sofern dieses nichts anderes bestimmt (siehe dazu § 3a Rdn 19 ff.). Abs. 1 S. 2 stellt eine anderweitige Bestimmung in diesem Sinne dar, sofern der Anwalt mit seinem Auftraggeber eine erfolgsbasierte Vergütung vereinbart, die bei einem Misserfolg keine ("no win, no fee") oder nur eine geringere ("no win, less fee") Vergütung vorsieht.
Beispiel: Der Mandant beauftragt den Rechtsanwalt, für ihn Schadensersatzansprüche in Höhe von 12.000 EUR gerichtlich geltend zu machen. Als Vergütung vereinbaren die Parteien ein Erfolgshonorar dergestalt, dass der Anwalt 20 % des erstrittenen Betrages zuzüglich Umsatzsteuer erhalten soll. Bei vollem Erfolg soll die Quote bei 50 % liegen. Im Ergebnis wird die Klage zu 50 % abgewiesen.
Nach den gesetzlichen Gebühren kann der Anwalt beanspruchen:
Gegenstandswert: 12.000 EUR
1. |
1,3 Verfahrensgebühr, VV 3100 |
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785,20 EUR |
2. |
1,2 Terminsgebühr, VV 3104 |
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724,80 EUR |
3. |
Auslagenpauschale, VV 7002 |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.530,00 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
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290,70 EUR |
Gesamt |
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1.820,70 EUR |
Nach dem vereinbarten Erfolgshonorar kann der Anwalt fordern:
Erfolg: 6.000,00 EUR
1. |
vereinbarte Vergütung, § 4a (quota litis 20 %) |
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1.200,00 EUR |
2. |
Auslagenpauschale (VV 7002) |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.220,00 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
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231,80 EUR |
Gesamt |
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1.451,80 EUR |
Rz. 26
Als Ausnahmetatbestand zu § 49b Abs. 1 BRAO verhindert Abs. 1 S. 2 in diesen Fällen ein berufsrechtswidriges Verhalten. Auch wenn sich nach dem Ausgang des gerichtlichen Mandats erweist, dass die nach der Erfolgshonorarvereinbarung geschuldete Vergütung die staatlichen Tarife des RVG unterschreitet, hat der Rechtsanwalt daher keine berufsrechtlichen Sanktionen zu erwarten. Voraussetzung für die Suspendierung des § 49b Abs. 1 BRAO ist freilich, dass Anwalt und Mandant für den Erfolgsfall einen angemessenen Zuschlag auf die gesetzliche Vergütung vereinbart haben. Die Angemessenheit des Zuschlags ist aus der Sicht der Vertragsparteien für den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu beurteilen. Entscheidend ist mithin die Sicht ex ante; eine rückwirkende Betrachtung nach dem Verlauf oder gar dem Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens verbietet sich daher.
Rz. 27
Zwischen dem vereinbarten Zuschlag im Erfolgsfall und der Unterschreitung der gesetzlichen Gebühren im (teilweisen) Misserfolgsfall besteht bei der Angemessenheitsprüfung nach Abs. 1 S. 2 eine enge Korrelation. Je weiter im Falle des Misserfolgs die staatlichen Tarife unterschritten werden sollen, desto höher muss der Erfolgszuschlag sein. Der Erfolgszuschlag ist daher zu maximieren, wenn der Anwalt das Vergütungsrisiko zu 100 % übernimmt ("no win, no fee"). Erhält der Anwalt dagegen auch im Misserfolgsfall eine – wenn auch untertarifliche – Grundvergütung ("no win, less fee"), kann der Zuschlag proportional geringer sein.
Rz. 28
Die Angemessenheit des Zuschlags richtet sich überdies nach den Erfolgsaussichten, die sich zumeist bei der Bestimmung der maßgeblichen Gründe im Sinne des Abs. 3 S. 1 einschätzen lassen (vgl. Rdn 39 f.). Je geringer die Erfolgswahrscheinlichkeit einzuschätzen ist, desto höher ist der Zuschlag im Erfolgsfalle anzusetzen. Beträgt etwa die Erfolgsprognose 50 %, ist regelmäßig ein Zuschlag angemessen, dessen Wert der Unterschreitung der gesetzlichen Mindestvergütung im Misserfolgsfall entspricht. Sind die Erfolgsaussichten größer, genügt ein niedrigerer Zuschlag, sind umgekehrt die Erfolgsaussichten geringer, muss der Zuschlag entsprechend größer sein.
Rz. 29
Die Regelung des Abs. 1 S. 2 ist misslungen; sie erscheint nicht praktikabel und extrem streitanfällig. Die Regelung ersetzt für die Vertragspartner gut verständliche und handhabbare Kriterien durch den unbestimmten Rechtsbegriff des angemessenen Zuschlags. Bei der gerichtlichen Überprüfung einer erfolgsbasierten Vergütung tritt neben die allgemeine Äquivalenzkontrolle des § 3a Abs. 2 (siehe § 3a Rdn 93 ff.) eine zweite, auf den Zuschlag nach Abs. 1 S. 2 bezogene Angemessenheitsprüfung. Die erste Prüfung ist ex post vorzunehmen, die zweite Prüfung ex ante. Eine unüberschaubare Kasuistik ist zu befürchten. Die Regelung des Abs. 1 S. 2 gibt Anwalt und Mandant daher nicht die notwendige Rechtssicherheit, sondern schafft einen neuen, zusätzlichen Konfliktherd für eine streitige Auseinandersetzung um das vereinbarte Honorar.