Norbert Schneider, Peter Fölsch
Gesetzestext
(1) Zahlungen, die der Rechtsanwalt nach § 9 des Beratungshilfegesetzes erhalten hat, werden auf die aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung angerechnet.
(2) 1In Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses bestimmen, sind Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt vor oder nach der Beiordnung erhalten hat, zunächst auf die Vergütungen anzurechnen, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur unter den Voraussetzungen des § 50 besteht. 2Ist eine Gebühr, für die kein Anspruch gegen die Staatskasse besteht, auf eine Gebühr anzurechnen, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse besteht, so vermindert sich der Anspruch gegen die Staatskasse nur insoweit, als der Rechtsanwalt durch eine Zahlung auf die anzurechnende Gebühr und den Anspruch auf die ohne Anrechnung ermittelte andere Gebühr insgesamt mehr als den sich aus § 15a Absatz 1 ergebenden Gesamtbetrag erhalten würde.
(3) 1In Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nach den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmen, sind Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt vor oder nach der gerichtlichen Bestellung oder Beiordnung für seine Tätigkeit in einer gebührenrechtlichen Angelegenheit erhalten hat, auf die von der Staatskasse für diese Angelegenheit zu zahlenden Gebühren anzurechnen. 2Hat der Rechtsanwalt Zahlungen empfangen, nachdem er Gebühren aus der Staatskasse erhalten hat, ist er zur Rückzahlung an die Staatskasse verpflichtet. 3Die Anrechnung oder Rückzahlung erfolgt nur, soweit der Rechtsanwalt durch die Zahlungen insgesamt mehr als den doppelten Betrag der ihm ohne Berücksichtigung des § 51 aus der Staatskasse zustehenden Gebühren erhalten würde. 4Sind die dem Rechtsanwalt nach Satz 3 verbleibenden Gebühren höher als die im Vergütungsverzeichnis vorgesehenen Höchstgebühren eines Wahlanwalts, ist auch der die Höchstgebühren übersteigende Betrag anzurechnen oder zurückzuzahlen.
A. Allgemeines
I. Regelungsgehalt
Rz. 1
Die Vorschrift regelt für drei typisierte Arten von Angelegenheiten (Beratungshilfe, Verfahren nach VV Teil 3 und Verfahren nach VV Teil 4–6) die Erfüllungswirkung von Leistungen auf den (zukünftigen) Vergütungsanspruch des beigeordneten, bestellten oder im Wege der Beratungshilfe tätigen Anwalts. Es geht um eine gesetzliche Leistungsbestimmung im Außenverhältnis zur Staatskasse für Zahlungen der Partei oder eines Dritten (§ 267 BGB).
II. Subsidiäre Haftung der Staatskasse
Rz. 2
Reichen diese Zahlungen an den Anwalt hin, um seine volle Vergütung in einer Angelegenheit nach Abs. 2 abzudecken, kommt die nur subsidiäre Haftung der Staatskasse uneingeschränkt zur Geltung. Sie braucht überhaupt nicht zu leisten und kann erbrachte Leistungen zurückfordern. Wird von der Partei oder dritter Seite nur ein Teil der vollen Vergütung gezahlt, konkurrieren Anwalt und Staatskasse miteinander, wem die Zahlung vorrangig zugutekommen soll. Es stellt sich die Frage, ob die Zahlung in erster Linie auf die Grundvergütung oder auf den Unterschiedsbetrag zwischen Grundvergütung und Regelvergütung gutgeschrieben werden soll. Bei dieser Zuordnung geht es um eine ähnliche Regelungsmaterie wie bei der Anrechnungsvorschrift des § 366 BGB (vgl. auch § 225 AO).
Rz. 3
Für die Staatskasse ist von Interesse, ob sie durch Fremdleistungen von ihrer Schuld dem beigeordneten oder bestellten Anwalt gegenüber (teilweise) befreit wird. Ist die Gesamtforderung des Anwalts der Partei gegenüber höher als ihr gegenüber (vgl. § 49 Rdn 9 ff.), so stellt sich im Rahmen des Dreiecksverhältnisses Anwalt – Partei – Staat ihre Verpflichtung vergleichbar der einer Teilbürgschaft dar (vgl. § 45 Rdn 7). Das Bestreben der Staatskasse liefe darauf hinaus, jede Teilerfüllung auf ihren Haftungsanteil anzurechnen. Der Gesetzgeber ist den entgegengesetzten Weg gegangen. Er hält sich – ebenso wie bei § 366 Abs. 2 BGB – strikt an den Gedanken des Gläubigerschutzes, indem die Zahlungseingänge bei dem Anwalt zunächst dem einredebehafteten (§ 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) oder nicht abgesicherten Teil der Forderung und zuletzt dem sicheren Teil, für den die Staatskasse haftet, gutgeschrieben werden.
III. Fehlende Leistungsbestimmungen
Rz. 4
Der Gesetzgeber geht wie selbstverständlich davon aus, dass eine abweichende Leistungsbestimmung der Partei oder des Dritten fehlt. Das erscheint auch naheliegend, weil dadurch der Anwalt schlechter als bei der gesetzlichen Regelung gestellt würde und für eine derartige Willensrichtung kein vernünftiger Grund ersichtlich ist. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die Vorschrift den Grundsätzen des Privatrechts zuwider die gewillkürte Leistungsbestimmung (§ 366 Abs. 1 BGB) verdrängen will. Vielmehr hat eine solche ohne weiteres Vorrang (vgl. Rdn 40 ff.).
IV. Zahlungen in Angelegenheiten nach VV Teil 4–6
1. Beigeordnete und bestellte Rechtsanwälte
Rz. 5
Die Vorschrift des Abs. 3 regelt insbesondere die Anrechnung von Vorschüssen und Zahlungen, die der Pflichtverteidiger von dem Beschuldigten oder einem Dritten erhalten hat. Die Vorschrift ist ferner für alle in den Angelegenheiten nach VV Teil 4–6 beigeordneten oder bestellten Rechtsanwälte anwendbar, also z.B. für einen dem Privatkläger (§ 37...