Rz. 110
Wie ausgeführt, kann die vorprozessual bzw. in solchen Verfahren entstandene Gebühr, in denen es gar nicht zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung gekommen ist, nicht festgesetzt werden. Eine Erstattungspflicht der Gegenseite kann sich mangels analoger Anwendbarkeit von § 91 ZPO nur aus materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlagen ergeben. Als Anspruchsgrundlagen für den materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch kommen gesetzliche oder vertragliche Ansprüche in Betracht. Zu beachten ist allerdings, dass ein materiell-rechtlicher Anspruch durch prozessuale Vorschriften ausgeschlossen sein kann. Beispielsweise sperrt § 12a ArbGG, der Kostenerstattungsansprüche für das arbeitsgerichtliche Verfahren erster Instanz ausschließt, auch den Rückgriff auf materiell-rechtliche Ansprüche. Dies gilt auch für den Fall, dass es nicht zu einem Prozess gekommen ist. Allerdings steht die Vorschrift einer Geltendmachung von Anwaltskosten als Verzugsschaden im Beschlussverfahren nicht entgegen.
Rz. 111
Im Bereich der vertraglichen Ansprüche kann sich eine Erstattungspflicht der Gegenseite aus einer vertraglichen Übernahme der Kosten ergeben. Strafbewehrte Unterlassungserklärungen im Wettbewerbsrecht enthalten häufig die Klausel, dass derjenige, der sich zur Unterlassung verpflichtet, die Kosten für die Tätigkeit des gegnerischen Anwalts übernimmt, wobei hier allerdings in der Regel ohnehin eine Verpflichtung nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag besteht. Möglich ist auch, dass der Schädiger bzw. sein Versicherer vertraglich die Anwaltskosten des Geschädigten übernimmt.
Rz. 112
Vertragliche Ansprüche können sich ferner aus den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung, gesetzlich mittlerweile normiert in § 280 BGB bzw. § 241 BGB, ergeben, beispielsweise durch die Ausübung nicht bestehender Gestaltungsrechte (Rücktritt, Anfechtung, Kündigung) oder die Geltendmachung unbegründeter Ansprüche im Rahmen bestehender Schuldverhältnisse. Der Schadensersatzanspruch umfasst hier auch die Kosten eines beauftragten Rechtsanwalts. Allerdings begründet die unberechtigte Inanspruchnahme wegen einer Geldforderung nicht ohne weiteres einen Erstattungsanspruch hinsichtlich der dadurch verursachten Anwaltskosten des angeblichen Schuldners, denn mit unberechtigten Ansprüchen konfrontiert zu werden, gehört zum allgemeinen Lebensrisiko, soweit nicht die Voraussetzungen einer speziellen Haftungsnorm vorliegen. Insoweit kommen jedoch eine vertragliche bzw. vorvertragliche Beziehung der Parteien, eine Geschäftsführung ohne Auftrag oder eine deliktische Handlung in Betracht. Die diesbezüglichen Tatbestandsvoraussetzungen müssen dann allerdings erfüllt sein. Die Kosten für dessen Einschaltung sind weiter nur dann ersatzfähig, wenn der Geschädigte im einzelnen Schadensfall die Heranziehung eines Rechtsanwalts für erforderlich halten durfte. Teilweise wird allerdings auch die Auffassung vertreten, dass die Erstattungspflicht hinsichtlich der Anwaltskosten nur dann nicht bestehe, wenn die Einschaltung des Rechtsanwalts mutwillig gewesen sei.
Rz. 113
Die wohl häufigste Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Kosten anwaltlicher Tätigkeit ist § 286 BGB (Verzugsschaden). Hier ist zu beachten, dass nach ganz h.M. die Kosten für die verzugsauslösende Mahnung durch einen Anwalt nicht erstattungsfähig sind. Ist Verzug jedoch eingetreten, sind die Anwaltskosten in der Regel ersatzfähig, denn es wird in der Mehrzahl der Fälle der Wahrscheinlichkeit entsprechen, dass der Geschädigte zur Wahrnehmung seiner Rechte einen Rechtsanwalt einschaltet, so dass dieser Schaden adäquat verursacht ist. Zur Durchsetzung seines Anspruchs ist der Gläubiger berechtigt, einem Rechtsanwalt zunächst einen Auftrag zur außergerichtlichen Geltendmachung und einen weiteren bedingten Klageauftrag für den Fall, dass sich der Anspruch außergerichtlich nicht durchsetzen lässt, zu erteilen. Der Gläubiger muss sich im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht nicht darauf verweisen lassen, dem Anwalt zunächst nur einen Auftrag für ein Schreiben einfacher Art (VV 2301) oder direkt einen Klageauftrag zu erteilen.
Rz. 114
Nach Auffassung des BGH können sich bei wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen sowie Abschlussschreiben auch Erstattungsansprüche aus den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 683 BGB) ergeben. Diese Konstruktion wird zwar in der Literatur bestritten, hat sich aber in der Praxis durchgesetzt. Darüber hinaus sind nach h.M. die Kosten der vorprozessualen Abmahnung im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs zu ersetzen. Zum ersatzfähigen Schaden gehören dabei auch die Aufwendungen für die anwaltliche Beratung und Vertretung bei der Abmahnung. Diese sind auch dann ersatzfähig, wenn die Gegenseite die begehrte strafbewehrte Unterlassungserklärung nicht abgibt, weil sie sich bereits gegenüber einem anderem unterworfen hat. Denn durch diese Unterwerfung wird lediglich die Wiederholungsgefah...