Rz. 76
In sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nicht nach dem Gegenstandswert richten (§ 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 2), entsteht seit dem 1.8.2013 sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Nachprüfungsverfahren eine Geschäftsgebühr nach VV 2302 Nr. 1 (bis 31.7.2013: VV 2400).
Anstelle der früheren Gebührenermäßigung (VV 2401 a.F.) ist auch hier nach Abs. 4 eine hälftige Anrechnung der zuvor entstandenen Geschäftsgebühr vorzunehmen. Es dürfen nicht mehr als 207 EUR angerechnet werden (VV Vorb. 2 Abs. 4 S. 2). Bis zu einer Geschäftsgebühr von 414 EUR ist also die Hälfte anzurechnen. Ein darüber hinaus gehender Gebührenbetrag bleibt anrechnungsfrei.
Rz. 77
Auch hier gilt, dass der im Nachprüfungsverfahren gegebene geringere Umfang infolge der vorangegangenen Tätigkeit im Verwaltungsverfahren zwar berücksichtigt wird, jetzt allerdings durch eine hälftige und zudem der Höhe nach begrenzte Gebührenanrechnung. Dafür darf dann andererseits aber im Nachprüfungsverfahren auch der eventuell geringere Umfang durch die vorherige Einarbeitung im Rahmen des § 14 Abs. 1 nicht Gebühren mindernd berücksichtigt werden (§ 14 Abs. 2; VV Vorb. 2 Abs. 4 S. 3 a.F.) (siehe Rdn 67 f.).
Rz. 78
§ 15a Abs. 3 (Abs. 2 a.F.) findet hier ebenfalls Anwendung, was sich insbesondere auf die Kostenerstattung auswirkt. Hiervon profitiert der Anwalt insbesondere in Beratungshilfesachen, da er dann über § 9 S. 2 BerHG einen höheren Erstattungsanspruch geltend machen kann als bisher (siehe Rdn 69). Gleiches gilt im Falle der Verfahrenskostenhilfe (analog § 126 ZPO, § 9 S. 2 BerHG) sowie für den Mandanten im Falle einer Erstattungspflicht durch den Gegner.
Rz. 79
Beispiel: Anrechnung der Geschäftsgebühr im Widerspruchsverfahren
Der Anwalt wird im Verwaltungsverfahren vor der Behörde beauftragt. Gegen den Bescheid der Behörde legt er Widerspruch ein. Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren sind umfangreich und schwierig, allerdings durchschnittlich.
Der Anwalt erhält sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Widerspruchsverfahren eine Geschäftsgebühr nach VV 2302 Nr. 1 (§ 17 Nr. 1a). Auszugehen ist wegen Umfangs und Schwierigkeit jeweils von der Mittelgebühr.
Die Vorbefassung im Beschwerdeverfahren darf nicht Gebühren mindernd berücksichtigt werden (§ 14 Abs. 2, Abs. 4 S. 3 a.F.).
Zu beachten ist noch, dass die erste Geschäftsgebühr hälftig auf die zweite Gebühr anzurechnen ist (Abs. 4 S. 1).
I. Verwaltungsverfahren
1. |
Geschäftsgebühr, VV 2302 Nr. 1 |
|
414,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
434,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
82,46 EUR |
Gesamt |
|
516,46 EUR |
II. Widerspruchsverfahren
1. |
Geschäftsgebühr, VV 2302 Nr. 1 |
|
414,00 EUR |
2. |
gem. VV Vorb. 2.3 Abs. 4 S. 1 anzurechnen |
|
– 207,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
227,00 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
43,13 EUR |
Gesamt |
|
270,13 EUR |
Gesamt I. + II. |
|
786,59 EUR |
Im Falle eines erfolgreichen Widerspruchsverfahrens wäre von der Behörde die volle Geschäftsgebühr nebst Auslagen zu erstatten. Auf die Anrechnung könnte sich die Behörde gemäß § 15a Abs. 3 nicht berufen. Zu erstatten wären demnach:
1. |
Geschäftsgebühr, VV 2302 Nr. 1 |
|
414,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
434,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
82,46 EUR |
Gesamt |
|
516,46 EUR |
Rz. 80
Auch im rechtschutzversicherten Mandat wirkt sich die Anrechnung bei den Rahmengebühren günstiger aus. Für das Verwaltungsverfahren besteht in Sozialsachen grundsätzlich kein Versicherungsschutz. Dieser setzt frühestens im Widerspruchsverfahren, regelmäßig erst im Klageverfahren ein. Während nach der früheren Regelung der Rechtsschutzversicherer bei einer Vorbefassung des Anwalts nur die Gebühr nach dem geringeren Rahmen (VV 2401 a.F.) übernehmen musste, gilt jetzt auch für ihn § 15a Abs. 3 mit der Folge, dass er die volle Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren zahlen muss, ohne sich auf die Anrechnung berufen zu können. Insoweit gilt das Gleiche wie bei der Kostenerstattung (siehe vorangegangenes Beispiel, Rdn 79).