Rz. 255
Nach überwiegender Ansicht ist die für eine Abmahnung entstandene Geschäftsgebühr nach Abs. 4 auf die Verfahrensgebühr eines nachfolgenden einstweiligen Verfügungsverfahrens anzurechnen. Nach der Gegenansicht kommt eine Anrechnung nicht in Betracht, weil die Abmahnung und das einstweilige Verfügungsverfahren nicht denselben Gegenstand betreffen.
Dieser zweiten Ansicht ist zu folgen: Die Abmahnung will den Anspruch in der Hauptsache verwirklichen, nämlich die dauerhafte Unterlassung des beanstandeten Verhaltens. Dagegen ist das einstweilige Verfügungsverfahren nur auf eine vorläufige Sicherung dieses Anspruchs gerichtet. Die einstweilige Verfügung kann schon aufgrund ihres Charakters als Mittel einer nur vorläufigen Anspruchssicherung nicht denselben gebührenrechtlichen Gegenstand betreffen, wie die auf Durchsetzung des Anspruchs in der Hauptsache gerichtete Abmahnung. Die einstweilige Verfügung mag zwar gerade in Wettbewerbssachen, aufgrund der regelmäßig anzutreffenden zeitlichen Enge der Ereignisse, das einzige prozessuale Mittel darstellen, das die Parteien zur Durchsetzung ihres Unterlassungsanspruchs in Anspruch nehmen. Dieser faktische Verfahrensablauf kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Anwalt im Rahmen der einstweiligen Verfügung mit einem anderen Gegenstand beauftragt wird als bei der Abmahnung. Damit bleiben dem Anwalt die Gebühren für das einstweilige Verfügungsverfahren auch bei einer vorangegangenen Tätigkeit im Rahmen der Abmahnung anrechnungsfrei erhalten.
Rz. 256
Wird der Anwalt allerdings von vornherein mit der gerichtlichen Durchsetzung der Unterlassungsansprüche beauftragt und spricht er die Abmahnung aus, um die Kostenfolge des § 93 ZPO zu vermeiden, so erhält er für die erfolgreiche Abmahnung keine Geschäftsgebühr, sondern eine 0,8-Verfahrensgebühr nach VV 3101 Nr. 1 aus dem Hauptsachewert, da bereits Prozessauftrag erteilt war. Bei erfolgloser Abmahnung und nachfolgendem Verfügungsverfahren ist zu beachten, dass das einstweilige Verfügungsverfahren im Regelfall einen geringeren Streitwert aufweist, als die Abmahnung, da es sich nur um eine vorläufige Regelung handelt. Der Anwalt erhält also neben der 0,8-Verfahrensgebühr aus dem vollen Streitwert für die Abmahnung eine 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Verfügungsstreitwert. Nach der hier vertretenen Ansicht ist § 15 Abs. 3 auf diesen Fall nicht anwendbar, da es sich um zwei verschiedene Angelegenheiten handelt.
Rz. 257
Nach Abschluss des einstweiligen Verfügungsverfahrens kann vom Wettbewerber durch ein sog. Abschlussschreiben der Verzicht auf Rechtsmittel (§§ 924, 926, 927 ZPO) gefordert werden. Diese Tätigkeit gehört bereits zum Hauptsacheverfahren, welches gegenüber dem einstweiligen Verfügungsverfahren nach § 17 Nr. 4b eine eigene gebührenrechtliche Angelegenheit ist. Hat der Anwalt also bereits Prozessauftrag für das Hauptsacheverfahren, erhält er für ein erfolgreiches Abschlussschreiben eine 0,8-Verfahrensgebühr nach VV 3101 aus dem Hauptsachewert. Darauf anzurechnen ist die aus der Abmahnung entstandene Geschäftsgebühr, da beide Angelegenheiten denselben Gegenstand – den Anspruch in der Hauptsache – betreffen. Hat der Anwalt dagegen einen auf das Abschlussschreiben beschränkten Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung, entsteht nach überwiegender Meinung dafür eine 1,3-Geschäftsgebühr (VV 2300). Sieht man allerdings das Abschlussschreiben zutreffend als Fortsetzung der außergerichtlichen Tätigkeit hinsichtlich des Anspruchs in der Hauptsache an, so ergibt sich daraus, dass die Gebühren nicht erneut entstehen (§ 15 Abs. 5 S. 2). Allenfalls kann die Abfassung des Abschlussschreibens dazu führen, dass sich der Gebührensatz für die außergerichtliche Vertretung erhöht.