Rz. 1

Erhält der Anwalt den Auftrag, die Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels zu prüfen, so handelt es sich hierbei gegenüber dem Verfahren, in dem die anzufechtende Entscheidung ergangen ist, um eine selbstständige Angelegenheit i.S.d. § 15. Erforderlich ist insoweit allerdings ein gesonderter Auftrag. Die Abgrenzung kann mitunter Schwierigkeiten bereiten.

 

Rz. 2

Die Beratung über die Aussicht eines Rechtsmittels zählt nicht mehr zur Instanz.[1] Unzutreffend ist insoweit die Ansicht des OLG Koblenz,[2] die Tätigkeit sei durch die erstinstanzliche Verfahrensgebühr abgegolten.[3] Insbesondere wird diese Tätigkeit nicht durch § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 erfasst, da danach nur die Zustellung und Empfangnahme von Rechtsmittelschriften gedeckt ist.[4] Die beratende Tätigkeit des Anwalts ist vielmehr nach VV 2100 ff. gesondert zu vergüten. Voraussetzung hierfür ist selbstverständlich, dass ein entsprechender Auftrag erteilt worden ist. Sofern der Anwalt unaufgefordert über die Aussicht eines Rechtsmittels berät, erhält er keine Vergütung.

 

Rz. 3

Abzugrenzen ist ferner von § 19 Abs. 1 S. 1. Die Beratung über den Inhalt des Urteils und die allgemeine Anfechtungsmöglichkeit gehört noch zur Vorinstanz. Erst wenn dem Anwalt der zusätzliche Auftrag erteilt worden ist, die konkrete Erfolgsaussicht, also Zulässigkeit und Begründetheit, gesondert zu prüfen, liegt ein eigener Auftrag vor, der die Gebühren nach VV 2100 ff. auslöst.[5] Die Prüfung der Erfolgsaussicht richtet sich dann nach VV 2100.

 

Rz. 4

Soll der Anwalt darüber hinaus ein schriftliches Gutachten über die Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels erstatten, bemisst sich die Vergütung nach VV 2101 (Anm. Abs. 1 zu VV 2103), die lex specialis zu § 34 Abs. 1 ist (vormals VV 2103). Für ein mündlich zu erstattendes Gutachten über die Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels ist § 34 Abs. 1 ebenfalls nicht anwendbar; es bleibt bei VV 2100.

 

Rz. 5

Abzugrenzen ist die Tätigkeit nach den VV 2100 ff. ferner von der Verkehrsanwaltsgebühr nach Anm. zu VV 3400. Danach erhält der Anwalt eine gesonderte Gebühr, wenn er die Übersendung der Handakten an den Rechtsmittelanwalt auftragsgemäß mit gutachterlichen Äußerungen verbindet. Das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen den Gebührentatbeständen der VV 2100 ff. und Anm. zu VV 3400 liegt im Adressaten. Die gutachterlichen Äußerungen der Anm. zu VV 3400 müssen sich an den Rechtsmittelanwalt richten, die Prüfung der Erfolgsaussicht nach VV 2100 ff. richtet sich dagegen an den Auftraggeber.

[1] AG Saarbrücken AGS 2016, 367.
[2] KostRsp. BRAGO § 20 Nr. 2 m. Anm. E. Schneider.
[3] Zutreffend daher KG Rpfleger 1982, 160.
[4] KG Rpfleger 1982, 160; OLG Hamm AnwBl 1992, 286; OLG Düsseldorf JurBüro 1992, 39; OLG Saarbrücken NJW-RR 1997, 190; OLG Zweibrücken JurBüro 1998, 22 m. Anm. Enders; Enders, JurBüro 1997, 113; Hansens, § 20 Nr. 4; a.A. OLG Koblenz KostRsp. BRAGO § 20 Nr. 2 m. Anm. E. Schneider.
[5] OLG Düsseldorf AGS 2006, 482 = RVGreport 2007, 67 = JurBüro 2006, 635.

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