Rz. 14
Nr. 1 beschäftigt sich zum einen mit der Situation, dass die Angelegenheit, wegen derer der Rechtsanwalt beauftragt worden ist, erledigt ist, noch bevor der Rechtsanwalt eine weitergehende, d.h. in Nr. 1 beschriebene Tätigkeit entfalten konnte. Zum anderen betrifft Nr. 1 auch die Fälle, in denen dem Rechtsanwalt durch den Auftraggeber das Mandat entzogen wird bzw. er das Mandat von sich aus niederlegt, so dass sich die Angelegenheit aus diesem Grund für den Rechtsanwalt erledigt hat.
aa) Arten der Beendigung
Rz. 15
Die Beendigung des Auftrags kann beispielsweise durch Kündigung des Mandats durch den Auftraggeber, durch Niederlegung des Mandats durch den Rechtsanwalt, durch Erledigung der Angelegenheit (z.B. durch Klagerücknahme), durch Tod des Prozessbevollmächtigten oder Rückgabe seiner Zulassung erfolgen. Sie muss sich auf das konkrete Mandat beziehen. Der Zeitpunkt einer solchen Beendigung ist objektiv bestimmbar (z.B. durch Zugang der Kündigung, Zeitpunkt des Todes des Prozessbevollmächtigten oder Beendigung seiner Zulassung), so dass der Anwendungsbereich von VV 3101 objektiv abgegrenzt werden kann.
Rz. 16
Wird der Auftrag auf andere Weise als durch eine Kündigung seitens des Auftraggebers oder durch Niederlegung des Mandats beendet, wird für die Anwendung des Reduktionstatbestandes auf die Kenntnis des Rechtsanwalts abgestellt. Hier ist der in § 674 BGB zum Ausdruck gekommene Rechtsgedanke heranzuziehen, nach dem ein Auftrag selbst bei einem durch objektive Umstände bewirkten nachträglichen Erlöschen gleichwohl zugunsten des Beauftragten als fortbestehend gilt, bis der Beauftragte von dem Erlöschen Kenntnis erlangt oder das Erlöschen kennen muss. Entfaltet der Prozessbevollmächtigte nach dem Erlöschen, d.h. der Erledigung des Auftrags, in Unkenntnis dessen eine in VV 3101 Nr. 1 genannte Tätigkeit, z.B. Einreichen eines Schriftsatzes mit Sachanträgen, erwächst ihm die Verfahrensgebühr in voller Höhe. Folgerichtig erhält beispielsweise der Prozessbevollmächtigte des Beklagten keine weiteren Gebühren, wenn er nach Rücknahme der Klage und deren Kenntnisnahme noch weitere Tätigkeiten entfaltet, also etwa einen Abweisungsantrag stellt.
bb) Gebühren bei Erledigung der Hauptsache
(1) Erledigung der Hauptsache vor Antragstellung
Rz. 17
Erledigt sich der Auftrag nur hinsichtlich der Hauptsache, bevor der Anwalt eine der in VV 3101 Nr. 1 genannten Tätigkeiten ausgeführt hat, so kann neben der reduzierten Verfahrensgebühr aus dem Wert der Hauptsache die volle Verfahrensgebühr nach dem Wert der Kosten erwachsen. Die Summe der Gebühren darf jedoch nicht mehr betragen, als eine volle Verfahrensgebühr aus dem Hauptsachewert (vgl. § 15 Abs. 3). Nimmt beispielsweise der Kläger nach Widerspruch des Beklagten gegen den Mahnbescheid und Abgabe des Verfahrens an das Streitgericht die Klage zurück, so kann der Beklagtenvertreter neben der reduzierten Verfahrensgebühr aus dem Hauptsachewert für den Kostenantrag nach § 269 Abs. 4 ZPO eine Verfahrensgebühr i.H.v. 1,3 aus dem Kostenwert verlangen.
Beispiel: Klage auf Zahlung von 10.000 EUR. Der Beklagte beauftragt seinen Rechtsanwalt. Noch bevor dieser einen Klageabweisungsantrag beim Gericht eingereicht hat, wird die Klage zurückgenommen. Der Rechtsanwalt des Beklagten stellt daraufhin den Kostenantrag nach § 269 Abs. 4 ZPO, dem auch antragsgemäß stattgegeben wird. Die Gebühren des Rechtsanwalts des Beklagten berechnen sich wie folgt:
Streitwert: 10.000 EUR
1. |
0,8-Verfahrensgebühr, VV 3101 Nr. 1 |
491,20 EUR |
2. |
1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100 (Streitwert: bis 1.500 EUR; Kosten, d.h. die bis zur Klagerücknahme entstandenen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten beider Parteien, hier geschätzt) |
165,10 EUR |
Gesamt |
656,30 EUR |
Kontrolle gemäß § 15 Abs. 3: Die Summe aus 1. und 2. darf nicht mehr ergeben als eine 1,3- Verfahrensgebühr nach dem vollen Wert. Hier liegt die Grenze bei 798,20 EUR.