Rz. 47
Die Grundfrage, die sich stellt, ist die, ob vor Eingang einer Berufungsbegründung der Berufungsbeklagte überhaupt berechtigt ist, sich in anwaltliche Vertretung zu begeben oder ob es ihm zuzumuten ist, abzuwarten, bis die Berufung begründet wird.
Rz. 48
Diese Frage war früher lange Zeit umstritten. Das galt insbesondere in den Fällen, in denen der Berufungskläger ausdrücklich erklärt hatte, er lege die Berufung nur fristwahrend ein und er zudem den Gegner gebeten hatte, aus Kostengründen von einer Bestellung Abstand zu nehmen, bis feststehe, ob die Berufung durchgeführt werde. Die frühere Rechtsprechung hat in diesen Fällen zum Teil eine Kostenerstattung gänzlich abgelehnt. Überwiegend war die Rechtsprechung später jedoch dazu übergegangen, dem Berufungsbeklagten bereits zuzugestehen, unmittelbar nach Erhalt einer auch nur fristwahrend eingelegten Berufung einen Anwalt mit seiner eigenen Interessenvertretung zu beauftragen und zwar selbst dann, wenn der Berufungskläger ausdrücklich erklärt hatte, dass die Berufung nur zur Fristwahrung eingelegt werde und er darum gebeten hatte, von der Bestellung eines Anwalts Abstand zu nehmen.
Rz. 49
Der BGH hat in einer Grundsatzentscheidung noch zur BRAGO klargestellt, dass er dieser Auffassung folge und dass der Beklagte die Kosten eines für das Berufungsverfahren bestellten Anwalts grundsätzlich erstattet verlangen könne. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH auch zu anderen Rechtsmittelverfahren. Die Instanzgerichte sind dieser Rechtsprechung zwischenzeitlich – soweit ersichtlich – einhellig gefolgt. So stellt das OLG Koblenz klar, dass ein Berufungsbeklagter regelmäßig selbst nicht abschätzen kann, was zu seiner Rechtsverteidigung erforderlich ist. Ihm ist deshalb nicht zuzumuten, einen Anwalt erst dann zu beauftragen, wenn der Berufungsführer sich entschließt, die ohne entsprechende Mitteilung nur zur Fristwahrung eingelegte Berufung auch durchzuführen.
Rz. 50
Eine Erstattungspflicht wird nur dann abgelehnt, wenn ein sog. "Stillhalteabkommen" geschlossen worden ist, wenn also der Berufungsgegner zugesagt hat, zunächst keinen Anwalt zu bestellen. In diesem Fall liegt ein vertraglich vereinbarter Verzicht auf eine Kostenerstattung bis zur Berufungsbegründung vor, der dann auch eine Kostenerstattung ausschließt. Das alleinige Schweigen auf eine Stillhaltebitte stellt nach den allgemeinen rechtsgeschäftlichen Regeln keine Willenserklärung dar und lässt ein Stillhalteabkommen nicht entstehen. Ausreichend ist insoweit die Erklärung des erstinstanzlichen Bevollmächtigten. An seine Zusage bleibt die Partei auch dann gebunden, wenn sie anschließend ihren Prozessbevollmächtigten wechselt. Das Stillhalteabkommen wird zwischen den Parteien geschlossen und nicht zwischen den Anwälten. Einer Partei bleibt daher die Kostenerstattung auch dann versagt, wenn sie nach Abschluss eines solchen Stillhalteabkommens den Anwalt wechselt.
Rz. 51
Ein Stillhalteabkommen der Parteien steht der Kostenerstattung nicht entgegen, wenn die Stillhaltefrist abgelaufen ist.
Rz. 52
Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung für den Fall, dass der Anwalt sich selbst vertritt. Nach Auffassung des BGH kann der sich selbst vertretene Anwalt bei nur fristwahrender Berufungseinlegung und Rücknahme innerhalb der Berufungsbegründungsfrist keine Kostenerstattung verlangen. Bei einer nicht rechtskundigen Partei seien die Kosten eines beauftragten Anwalts in diesem Fall nur deshalb erstattungsfähig, weil sie in einer als risikobehaftet empfundenen Situation eine anwaltliche Vertretung für erforderlich halten darf. Ein Anwalt, der sich selbst vertritt, empfindet die Situation nicht in gleicher Weise als risikobehaftet und bedarf keines Rates. Dafür, über § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO Information und Beratung zu fingieren, bestehe keinerlei Anlass. A.A. ist das OLG Düsseldorf, das eine Erstattungsfähigkeit bejaht, ohne auf die gegenteilige Rechtsprechung des BGH einzugehen oder die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
Rz. 53
Nach OLG Köln gelten diese Grundsätze auch dann, wenn eine Anwaltssozietät Partei und der die Sache bearbeitende Prozessbevollmächtigte deren alleiniger Geschäftsführer ist. Auch dann soll es nicht notwendig sein, dass sich dieser unmittelbar nach Eingang der Berufungsschrift bestellt und damit Kosten auslöst. Der BGH hat allerdings entschieden, dass auch bei einem anwaltlichen Beklagten die Kosten des Bevollmächtigten erstattungsfähig sind, wenn sich diese im Berufungsverfahren bereits vor dem gerichtlichen Hinweis auf die Unzulässigkeit der Berufung bestellt und hierdurch eine anwaltliche Tätigkeit entfaltet haben. Für die Frage, ob eine Partei die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes als erforderlich ansehen darf, kommt es nicht darauf an, ob sie rechtskundig ist oder über eine eigene Rechtsabteilung verfügt.
Rz. 54
Im Einzelnen ist auf die verschiedenen Zeitpunkte der Rücknahme abzustellen. Zu unterscheiden ist insbesondere einmal danach, ob die Beru...