Prof. Dr. Stephan Wolf, Andrea Dorjee-Good
I. Zuständigkeit und Erbstatut aus Sicht der Schweiz
1. Einleitung
Rz. 1
Die Schweiz ist nicht Mitglied der Europäischen Union und gehört entsprechend auch nicht zu den Mitgliedstaaten der EU-Erbrechtsverordnung (EuErbVO). Fragen hinsichtlich der Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts in grenzüberschreitenden Erbfällen bestimmen sich aus Schweizer Perspektive sowohl gegenüber Mitgliedstaaten der EuErbVO als auch gegenüber Drittstaaten nach den Bestimmungen des schweizerischen Internationalen Privatrechts. Gleiches gilt in Bezug auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen im Ausland ergangene erbrechtliche Entscheide, Maßnahmen und Urkunden in der Schweiz anerkannt werden. Maßgebend sind das Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) sowie allfällige völkerrechtliche Verträge, welche den Bestimmungen des IPRG vorgehen.
Rz. 2
Da die Bestimmungen der EuErbVO von den Mitgliedstaaten auch im Verhältnis zu Drittstaaten angewendet werden, bleibt die Schweiz von der Verordnung aber nicht gänzlich unberührt.
Rz. 3
Erinnert sei daran, dass bestehende Staatsverträge zwischen Mitgliedstaaten der EuErbVO und der Schweiz jeweils vorab zu prüfen sind, da solche Verträge den Bestimmungen der EuErbVO gem. Art. 75 EuErbVO vorgehen.
Rz. 4
Die Struktur der EuErbVO deckt sich in den Grundzügen weitgehend mit den Ansätzen des IPRG. In einigen Punkten bestehen aber wesentliche Unterschiede, so etwa betreffend die Rechtswahlmöglichkeiten und die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Rechtswahl.
Rz. 5
Mit der Revision des schweizerischen Internationalen Erbrechts (Art. 86–96 IPRG) sollte dieses modernisiert zumindest teilweise an die EuErbVO angeglichen werden. Am 22.12.2023 hat die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft die Revision des IPRG beschlossen. Hiergegen wurde kein Referendum ergriffen. Das nIPRG wird per 1.1.2025 in Kraft treten. Die dazugehörigen Übergangsbestimmungen finden sich in Art. 199a und 199b nIPRG. Gemäß Art. 199b Satz 1 nIPRG gelten die Änderungen über das anwendbare Recht für alle Erbfälle, die nach ihrem Inkrafttreten eingetreten sind. Verfügungen von Todes wegen, die vor Inkrafttreten der jeweiligen Änderung errichtet worden sind und nach den vom neuen Recht bezeichneten Bestimmungen ungültig wären, unterstehen jedoch weiterhin den vom bisherigen Recht bezeichneten Bestimmungen (Art. 199b Satz 2 nIPRG). Demgegenüber bestimmt sich die Verfügungsfreiheit im Zusammenhang mit Erbfällen, die nach Inkrafttreten des revidierten IPRG eingetreten sind, stets nach den vom neuen Recht bezeichneten Bestimmungen (Art. 199b Satz 3 nIPRG).
Rz. 6
Die Schweiz hat einige Staatsverträge abgeschlossen, welche im Bereich des internationalen Erbrechts relevant sind. Zu erwähnen sind insb. die Staatsverträge mit
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Österreich (SR 0.142.111.631) |
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Italien (SR 0.142.114.541) |
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Großbritannien (SR 0.142.113.671) |
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Griechenland (SR 0.142.113.721) |
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Persien (SR 0.142.114.362) |
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Portugal (SR 0.191.116.541) |
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Rumänien (SR 0.191.116.631) |
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USA (SR 0.142.113.361). |
Rz. 7
Zwischen der Schweiz und Deutschland bestehen auf dem Gebiet des Erbrechts grundsätzlich keine staatsvertraglichen Sonderbestimmungen, so dass auf deutsch-schweizerische Erbfälle aus schweizerischer Sicht die Kollisionsnormen des IPRG anwendbar sind, namentlich die Art. 86–96 IPRG.