Prof. Dr. Stephan Wolf, Andrea Dorjee-Good
Rz. 11
Vom Grundsatz der Schweizer Wohnsitzzuständigkeit gilt es folgende Ausnahmen zu beachten:
Rz. 12
Der Schweizer Wohnsitzgerichtsstand greift nicht für im Ausland gelegene Immobilien, falls der ausländische Staat, in welchem die Immobilie liegt, für auf seinem Territorium gelegene Grundstücke die ausschließliche Zuständigkeit beansprucht (Art. 86 Abs. 2 IPRG, unverändert). Diesfalls geht die ausländische Zuständigkeit für das entsprechende Grundstück der Schweizer Zuständigkeit vor, was in vielen Fällen zu einer Nachlassspaltung führt. Ob die ausländische Zuständigkeit für ein Grundstück eine ausschließliche Zuständigkeit i.S.v. Art. 86 Abs. 2 IPRG darstellt, hängt davon ab, ob der Belegenheitsstaat eine schweizerische Zuständigkeit und damit einen Schweizer Entscheid in Bezug auf das entsprechende Grundstück anerkennt oder nicht. Weil die EuErbVO nur die Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten ergangenen Entscheiden regelt, nicht aber diejenige von Drittstaaten wie der Schweiz, dürfte davon auszugehen sein, dass in Bezug auf die Anerkennung von in der Schweiz ergangenen Entscheiden – und damit auch für die Frage, ob die ausländische Zuständigkeit eine ausschließliche i.S.v. Art. 86 Abs. 2 IPRG darstellt – wie bis anhin auf das nationale IPR der jeweiligen Staaten zurückzugreifen ist. Derzeit ist unklar, ob die subsidiäre Zuständigkeit gestützt auf Art. 10 EuErbVO unter den Vorbehalt von Art. 86 Abs. 2 IPRG (unverändert) fällt. Es bleibt abzuwarten, ob und gegebenenfalls inwieweit die einzelnen EU-Mitgliedstaaten (z.B. Frankreich) im Verhältnis zu Drittstaaten an der bisher beanspruchten ausschließlichen Zuständigkeit für im eigenen Staat belegene Grundstücke festhalten werden.
Rz. 13
Ausnahmsweise erachten sich die Schweizer Gerichte und Behörden auch ohne Schweizer Wohnsitz des Erblassers für zuständig. Dies ist einmal dann der Fall, wenn sich im Nachlass eines Ausländers Nachlassvermögen in der Schweiz befindet und sich die ausländischen Behörden des Wohnsitzstaates (Art. 88 Abs. 1 nIPRG) mit diesem nicht befassen (Art. 88 nIPRG). Im Interesse der Rechtssicherheit und um Zuständigkeitskonflikte zu vermeiden hält Art. 88 Abs. 1 nIPRG neu sodann fest, dass die schweizerischen Gerichte/Behörden ihre Zuständigkeit ablehnen können, soweit sich die Behörden eines ausländischen Heimatstaates des Erblassers oder des Staates des letzten gewöhnlichen Aufenthalts mit dem Nachlass befassen. Weiter erachtet sich die Schweiz auch für den Nachlass eines im Ausland lebenden Schweizers zuständig, soweit sich die ausländischen Behörden des Wohnsitzstaates (Art. 87 Abs. 1 nIPRG) mit dem Nachlass nicht befassen. Zur Vermeidung von Zuständigkeitskonflikten können die schweizerischen Gerichte/Behörden ihre Zuständigkeit jedoch ablehnen, soweit sich die Behörden eines ausländischen Heimatstaates des Erblassers, des Staates seines letzten gewöhnlichen Aufenthalts oder des Lagestaates (bei einzelnen Nachlasswerten) mit dem Nachlass befassen (Art. 87 Abs. 1 nIPRG). Die Schweizer Behörden erachteten sich ferner stets für zuständig, wenn ein im Ausland lebender Schweizer in der Schweiz gelegene Vermögenswerte oder seinen gesamten Nachlass der schweizerischen Zuständigkeit oder, ohne Vorbehalt bezüglich der Zuständigkeit, dem Schweizer Heimatrecht unterstellt hat (Art. 87 Abs. 2 nIPRG). Sodann sind die Schweizer Behörden stets für Maßnahmen zur Sicherung des inländischen Nachlasses zuständig. Besteht keine Zuständigkeit gestützt auf Art. 86–88 nIPRG, sind hierzu die schweizerischen Behörden am Lageort zuständig (Art. 89 nIPRG). Auf sichernde Maßnahmen wenden die Schweizer Behörden stets Schweizer Recht an. Das Verfahren richtet sich je nachdem, ob das kantonale Organisationsrecht als zuständige Behörde ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde bezeichnet, nach der Schweizerischen ZPO oder dem kantonalen Verwaltungsverfahrensrecht.