Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Kryokonservierung vorsorglich gewonnener Samenzellen wegen Chemotherapie ist keine Krankenbehandlung. keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von GKV-Versicherten gegenüber Beihilfeberechtigten. Kostenerstattung. Beschaffungsweg

 

Orientierungssatz

1. Die Kryokonservierung vorsorglich gewonnener Samenzellen (wegen drohender Zeugungsunfähigkeit nach Hodenkrebsoperation und Chemotherapie) ist keine Krankenbehandlung iS von §§ 27, 27a SGB 5, die die gesetzliche Krankenversicherung zu leisten hätte.

2. Soweit sich aus landesrechtlichen Beihilfevorschriften eine Ungleichbehandlung der GKV-Versicherten gegenüber diesen Personenkreisen ergibt, liegt darin keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung.

3. Ein Versicherter ist vor Inanspruchnahme einer Behandlung außerhalb des Sachleistungssystems grundsätzlich gehalten, sich an seine Krankenkasse zu wenden und die Gewährung zu beantragen. Er darf der Entscheidung der Krankenkasse nicht dadurch vorgreifen, dass er sich die erstrebte Behandlung außerhalb dieses Systems selbst - privatärztlich - beschafft und die erforderliche Prüfung in das Verfahren der Kostenerstattung verlagert.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer Kryokonservierung von Samenzellen in Höhe von 1.660,00 EUR zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Der am 00.00.0000 geborene Kläger musste sich im Frühjahr 2005 wegen eines Hodenkarzinoms einer Operation mit anschließender Chemotherapie unterziehen. Da hierdurch eine Zeugungsunfähigkeit drohte, ließ er zuvor - am 30.03.2005 - sein Sperma kryokonservieren. Für die Erstbehandlung und die Kryokonservierung im ersten Jahr zahlte er seinem behandelnden Urologen 460,00 EUR (Rechnung vom 30.03.2005), für die Aufbewahrung in den Folgejahren jeweils 300,00 EUR (Rechnungen vom 03.05.2006, 23.05.2007, 15.06.2008 und 31.03.2009), bisher insgesamt 1.660,00 EUR.

Am 05.08.2008 beantragte der Kläger die Erstattung der bis dato entstandenen Kosten von 1.360,00 EUR für die Einlagerung der Spermien (Kryokonservierung) unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 07.11.2006 - 2 C 11/06.

Durch Bescheid vom 28.08.2008 (ohne Rechtsmittelbelehrung) lehnte die Beklagte den Kostenerstattungsanspruch ab mit der Begründung, es bestehe keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen für eine Kryokonservierung von Spermien. Das angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sei zu Leistungsansprüchen eines Beamten gegenüber seinen Dienstherrn im Rahmen der Beihilfe gesprochen worden und insofern nicht auf die GKV übertragbar.

Den dagegen am 02.03.2009 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 29.06.2009 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 23.07.2009 Klage erhoben. Er räumt ein, dass die Kostenübernahme für Kryokonservierungen von Samenzellen nach den entsprechenden Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über künstliche Befruchtung ausgeschlossen sei; jedoch habe das BVerwG im entsprechenden Urteil entschieden, dass auch solche Maßnahmen der Heilung und Linderung von Leiden bzw. dem Ausgleich einer durch die Behandlung erworbenen körperlichen Beeinträchtigung dienten. Soweit das Bundessozialgericht (BSG) entschieden hat, dass die Kryokonservierung von Samenzellen nicht in die Leistungspflicht der GKV fällt, hält der Kläger diese Rechtsprechung vor dem Hintergrund des Urteils des BVerwG zumindest für überprüfungswürdig. Das BVerwG habe den Anspruch auf Beihilfevorschriften gestützt, nach denen u.a. Kosten, die für die Behandlung in Krankheitsfällen und durch Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge entstanden sind, zu erstatten seien. Die Aufwendungen für die Gewinnung, Aufbereitung und Tiefkühlung der Spermien stünden im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Krankheitsfall, nämlich dem behandlungsbedürftigen Hodenkarzinom. Die Kryokonservierung diene der Wiedererlangung der Gesundheit und dem Ausgleich erworbener körperlicher Beeinträchtigungen. Zur Heilbehandlung gehörten auch zusätzlichen Maßnahmen, die zwar für sich genommen nicht die Heilung des Leidens herbeiführen könnten, wohl aber der Vermeidung und Minimierung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartender Behandlungsrisiken und Folgeleiden dienten und für den Fall eines ungünstigen Operationsverlaufs geeignet seien, durch den Eingriff erworbene körperliche Beeinträchtigungen ganz oder teilweise auszugleichen. Vor dem Hintergrund der Ausführungen des BVerwG erscheine es - so der Kläger - nicht sachgerecht, für Versicherte der GKV etwas anderes gelten zu lassen als für Beihilfeberechtigte. In beiden Fällen sei Ziel der Heilbehandlung auch die Verhütung von Krankheiten und die Linderung von Krankheitsbeschwerden. Er habe seinerzeit im Vorfeld der Operation keinen Antrag auf Übernahme der Kosten für die Kryokonservierung gestellt, da er erfahren hatte, dass aufgrund der ...

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