Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilferecht: Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Höhe der Regelbedarfsstufe bei Wohnsitznahme eines volljährigen Hilfeempfänger in der elterlichen Wohnung

 

Orientierungssatz

Lebt ein volljähriger Empfänger von Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Haushalt seiner Eltern, so ist im Regelfall von einem gemeinsamen Haushalt aller drei Bewohner auszugehen, so dass sich die Leistungshöhe von den Grundsicherungsempfänger nach Regelbedarfsstufe 3 bemisst.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte trägt ein Fünftel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger seit Februar 2015 zustehenden Sozialhilfe, insbesondere darüber, ob der Kläger der Regelbedarfsstufe 1 oder der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen ist.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist aufgrund einer psychischen Erkrankung seit dem 26.04.2015 und vorerst bis 31.03.2017 voll erwerbsgemindert. Nach gutachtlicher Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers ist es nicht unwahrscheinlich, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann. Der Kläger steht unter gerichtlich angeordneter Betreuung. Bis Januar 2015 lebte der Kläger in einer selbst gemieteten Wohnung und erhielt Eingliederungshilfe im Rahmen ambulant betreuten Wohnens. Die Beklagte bewilligte und gewährte ihm Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) unter Berücksichtigung u.a. eines Bedarfs nach der Regelbedarfsstufe 1, zuletzt durch Bescheid vom 17.12.2014 für den Bewilligungszeitraum vom 01.01. bis 31.12.2015. Der Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 1 betrug im Jahre 2015 monatlich 399,00 EUR.

Am 07.01.2015 teilte der Betreuer des Klägers der Beklagten mit, dass die Wohnung gekündigt sei und der Kläger ab 01.02.2015 in die elterliche Wohnung zurückkehre. Diese Wohnung wurde bis dahin von den Eltern des Klägers und seinem erwachsenen Bruder und wird seit Februar 2015 also von vier erwachsenen Personen bewohnt. Die Eltern des Klägers beziehen Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II); diesen wird ein Regelbedarf gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II anerkannt (für 2015 jeweils 360 EUR, für 2016 jeweils 364); dieser Regelbedarf entspricht bei Leistungsberechtigten nach dem SGB XII der Regelbedarfsstufe 2 nach der Anlage zu § 28 SGB XII. Die Miete einschließlich Nebenkosten beträgt monatlich 778,82 EUR; darüber hinaus wird ein Heizkostenabschlag von monatlich 199,00 EUR gezahlt. Die Beklagte errechnete hieraus einen Anteil pro Person von 194,71 EUR für die Kosten der Unterkunft und 49,75 EUR für Heizkosten; diese Kosten erkennt sie als angemessen an.

Durch bestandskräftigen Bescheid vom 15.01. und 24.02.2015 berechnete die Beklagte unter gleichzeitiger Aufhebung des letztgültigen Bewilligungsbescheides die dem Kläger zustehende Hilfe zum Lebensunterhalt neu. Sie bewilligte ihm unter Anerkennung folgenden monatlichen Bedarfs: Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 3 (320,00 EUR), Krankenversicherungsbeitrag (132,30 EUR), Pflegeversicherungsbeitrag (24,57 EUR), Zusatzbeitrag (7,56 EUR), Kosten der Unterkunft (anteilig 194,69 EUR; 782,78 EUR abzüglich der Anteile für drei Personen à 194,71 EUR), Heizkosten (anteilig 29,75 EUR; 119,00 EUR abzüglich der Anteil für drei Personen à 29,75 EUR), insgesamt 708,87 EUR.

Am 12.08.2015 beantragte der Kläger unter Hinweis auf § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Überprüfung des Regelbedarfs; er verwies auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23.07.2014.

Durch Bescheid vom 13.08.2015 lehnte die Beklagte eine Rücknahme der Entscheidungen über die ab 01.02.2015 bewilligte Sozialhilfe ab. Zwar habe das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Nachgang der BSG-Rechtsprechung mit Weisung vom 31.03.2015 im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung eine Regelung getroffen, dass volljährigen haushaltsangehörigen Personen die Differenz zwischen den Regelbedarfsstufen 1 und 3 zusätzlich zu gewähren ist; diese Weisung gelte jedoch lediglich für Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, nicht auf den Personenkreis, der - wie der Kläger - Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII erhalte. Bei Erlass der beiden bestandskräftigen Bescheid vom 15.01. und 24.02.2015 habe sie das Recht nicht unrichtig angewandt und sei auch von keinem falschen Sachverhalt ausgegangen.

Dagegen erhob der Kläger am 18.08.2015 Widerspruch. Er hielt die Nichtanwendung bei Empfänger von Hilfe nach dem Dritten Kapitel des SGB XII für einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Grundgesetz.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 10.11.2015 zurück. Sie hielt die Rechtsprechung des BSG in den Urteilen vom 23.07.2014 (B 8 SO 31/12 R, B 8 SO 12/13 R und B 8 SO 14/13 R) für nicht nachvollziehbar und meinte, es ergäbe sich für sie keine Bindung an diese Urteile.

Dagegen hat der Kläger am 09.12.2015 Klage erhoben. Er b...

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