Entscheidungsstichwort (Thema)
Offenkundigkeit der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (hier: Negativabgrenzung)
Orientierungssatz
Die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch ist jedenfalls dann nicht offenkundig, wenn der GdB nur durch Einholung eines oder mehrerer fachärztlicher Gutachten unter Berücksichtigung und Würdigung sämtlicher vorhandener medizinischer Unterlagen festgestellt werden kann, weil dann für betroffene Dritte ohne medizinische Kenntnisse erst recht nicht mehr ersichtlich ist, ob eine Schwerbehinderung besteht oder nicht und sie deshalb durch die rückwirkende Feststellung in unzumutbarer Weise betroffen werden könnten (Anschluss: LSG Saarbrücken, Beschluss vom 05. November 2002, L 5 B 12/01 SB; SG Düsseldorf, Urteil vom 23. September 2008, S 35 SB 239/07; SG Duisburg, Urteil vom 28. Februar 2006, S 24 SB 4/05; SG Dresden, Gerichtsbescheid vom 09. Dezember 2004, S 7 SB 340/02).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 100 und das Merkzeichen "H" ab Geburt.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger stellte erstmalig am 09.05.2000, vertreten durch seine Eltern, einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung. Das Versorgungsamt Aachen stellte seinerzeit mit Bescheid vom 05.07.2000 ab dem 09.05.2000 einen GdB von 80 fest und erkannte die Merkzeichen "G" und "B" an. Der Feststellung lagen verschiedene Berichte zugrunde, unter anderem ein Bericht der Kinderklinik der S vom 26.08.1996 in welchem eine Erstvorstellung des Klägers im März 1996 erwähnt wurde und die Diagnosen "Verdacht auf neurosekretorische Dysfunktion", "Entwicklungsverzögerung mit Minderwuchs" und "Verhaltensauffälligkeit mit rezidivierenden Wutanfällen" gestellt wurden. Weitere Berichte aus 1995 betrafen die Diagnose "Pendelhoden bds." und den "Minderwuchs". Das Versorgungsamt Aachen vermerkte seinerzeit bereits, dass der GdB von 80 ab März 1996 nachgewiesen sei. Am 20.11.2000 stellte der Kläger über seine Eltern einen Änderungsantrag. Es lägen neuere Erkenntnisse vor, denen zu Folge der Kläger die Behinderung schon seit frühester Kleinkindheit habe. Die Hilflosigkeit solle rückwirkend überprüft werden. Laut einem Kurzbericht der L vom 12.12.2000 wurde ein frühkindlicher Autismus diagnostiziert. Außerdem lag ein Pflegegutachten vor, das nach einer Begutachtung des Klägers am 15.02.2001 erstellt wurde. Mit Bescheid vom 04.05.2001 stellte das Versorgungsamt Aachen fest, dass ab dem 20.11.2000 ein GdB von 100 vorliegt und die Voraussetzungen für die Merkzeichen "H" und "RF" erfüllt werden. Ein Nachprüfungsverfahren 2004 führte zu keiner abweichende Beurteilung. Im Rahmen eines weiteren Nachprüfungsverfahrens 2009 wurde dem Kläger mit Bescheid vom 09.12.2009 das Merkzeichen "RF" aberkannt. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 17.03.2010 beantragte der Kläger, vertreten durch seinen Vater, die rückwirkende Feststellung der Behinderung ab der Geburt. Er verwies auf einen Bericht der S, in welchem es heißt, dass bei ihm Aufgrund seiner Erkrankung, die seit seiner Geburt bestünde, eine veränderte Wahrnehmung von Gefahrensituationen und deutliche Verhaltensauffälligkeiten bestünden, die eine klare Alltagsstrukturierung, Hilfe beim Durchführen von Alltagstätigkeiten und eine kontinuierliche 1:1-Betreuung nötig machten. Der Beklagte kam zu dem Ergebnis, dass bereits beim ersten Antrag festgehalten worden sei, dass eine rückwirkende Feststellung eines GdB von 80 ab März 1996 möglich sei. Für eine noch weiter in die Vergangenheit reichende Feststellung müssten Befundberichte vorgelegt werden, aus welchen entsprechende Defizite hervorgehen. Mit Bescheinigung vom 26.04.2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass ab März 1996 ein GdB von 80 und die Merkzeichen "G" und "B" vorgelegen haben. Da der Kläger seinen Antrag damit nicht als erledigt empfand, wies der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 21.05.2010 ab. Hiergegen legte der Kläger am 18.06.2010 Widerspruch ein. Diesen wies die Bezirksregierung Münster mit Bescheid vom 17.09.2010 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Kläger über seinen Bevollmächtigten am 18.10.2010 Klage erhoben. Er ist weiterhin der Auffassung, dass ab Geburt ein GdB von 100 sowie das Merkzeichen "H" anzuerkennen sei.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 21.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.09.2010 zu verurteilen, beim Kläger rückwirkend ab Geburt einen Grad der Behinderung von 100 und das Merkzeichen "H" anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat mit Schreiben vom 16.11.2010 darauf hingewiesen, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg habe. Eine rückwirkende Feststellung komme nach der Rechtsprechung des BSG nur in offenkundigen Fällen in Betracht. Eine Offenkundigkeit könne nicht angenommen werden, wenn ärztliche Gutachten eingeholt werden müssten, um den Zustand zu bewerten. Soweit die S mit Bericht vom 05.03.2010 bescheinig...