Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung: Anerkennung einer Berufskrankheit. Anforderungen an den Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen beruflicher Belastung und Gesundheitsschaden bei einer neurotoxischen Enzephalopathie nach Lösungsmitteleinsatz am Arbeitsplatz
Orientierungssatz
1. Die Annahme einer Berufskrankheit in Form einer Polyneuropathie bzw. Enzephalopathie mit Auswirkungen auf den Sehnerv, die durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische ausgelöst wurde, kommt nicht in Betracht, wenn die nachgewiesenen Schädigungen mit größerer Wahrscheinlichkeit durch eine Verengung der Blutgefäße im Gehirn im Sinne von Mikroangiopathien ausgelöst wurden und Anzeichen für eine neurotoxische Enzephalopathie nicht gegeben sind.
2. Einzelfall zur Annahme eines Ursachenzusammenhangs zwischen einer Belastung mit Lösungsmitteln am Arbeitsplatz und einer Schädigung des Sehnervs infolge einer neurotoxischen Enzephalopathie (hier: Kausalität verneint).
Nachgehend
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) infolge der Einwirkung von Lösemitteln.
Der 1958 geborene Kläger ist gelernter Werkzeugmacher. Er war ab September 1980 bei der Firma A. mit der Wartung und Instandhaltung von Lötanlagen betraut. Ab 1992 war er für die Qualifizierung von neuen Flussmitteln, Loten, Leiterplatten und Löttechniken zuständig. Während der genannten Tätigkeit bestand Kontakt zu Flussmitteln und Loten. Ab 1/2006 wechselte er in die Abteilung Musterbau; dort bestand kein Gefahrstoffkontakt mehr. Der Kläger bezog ab 01.10.2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit und ab 5/2010 erhält er Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer.
Am 11.06.2007 erstattete die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. der Beklagten eine ärztliche Anzeige bei Verdacht auf das Vorliegen einer durch Lösemittel verursachten Erkrankung des Klägers. Bei diesem bestehe eine Augenmuskelparese mit deutlicher Gesichtsfeldeinengung, die innerhalb der letzten Monate deutlich zugenommen habe. Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen über den Kläger bei und holte eine Arbeitgeberauskunft zu dessen Arbeitsplatzbelastung ein. Danach hatte der Kläger ab 1980 als Lötmaschinenwart Kontakt zu lösemittelbasierenden Fluss- und Reinigungsmitteln (Isopropanol, Ethanol).
In der Gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 12.02.2008 regte die Gewerbeärztin Dr. C. zusätzliche Ermittlungen zu einer Bleiexposition an. Die Beklagte führte durch ihren TAD weitere Ermittlungen zur Arbeitsplatzbelastung des Klägers durch. Danach war dieser einer Belastung durch Blei ausgesetzt. Die Blutbleiwerte betrugen im Jahr 2004 64 µg/l. Beginnend ab 2002 wurden die Lötanlagen auf bleifreies Lot umgestellt.
Nach den Luftmessungen aus dem Jahr 2008 betrug das Ergebnis für Ethanol 1 % des Grenzwertes; alle übrigen Substanzen lagen unterhalb der Nachweisgrenze. Die gaschromatographische und massenspektrometrische Analyse der Leiterplatten ergab eine Belastung mit N, N-Dimethylformamid. Des Weiteren war bis 1988 von einem Kontakt zu Trichlorethen auszugehen. In der Stellungnahme vom 22.08.2008 sprach sich die Gewerbeärztin Dr. D. gegen die Anerkennung einer BK Nr. 1101 BKV aus (Erkrankung durch Blei).
Mit Bescheid vom 18.09.2009 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK Nr. 1101 der Berufskrankheitenliste ab. Mit Schreiben vom 01.10.2008 teilte der Kläger mit, dass er hiergegen keinen Widerspruch einlege; seine Erkrankung sei aber auf einen Chemikaliencocktail zurückzuführen, dem er während der Arbeit über mehrere Stunden täglich ausgesetzt gewesen sei. Mit Schreiben vom 08.10.2008 erhob der Kläger gegen den Bescheid vom 18.09.2009 Widerspruch.
Die Beklagte führte weitere Ermittlungen zur Arbeitsplatzbelastung des Klägers bei der Firma A. durch, an denen unter anderem auch der Kläger teilnahm. Danach war dieser von 9/1980 bis 1988 im Bereich der Montage mit der Lötanlagenbetreuung beschäftigt. Während dieser Zeit reinigte er auch Lötrahmen und Bürsten im Umfang von ein bis zwei Stunden pro Schicht. Die Reinigungsanlage besteht nicht mehr und Angaben zu dem in der Reinigungsanlage verwendeten Stoff konnten nicht gemacht werden. Die Einwirkung durch Reinigungsstoffe bestand danach durch direkten Hautkontakt (kutan) und durch Stoffe in der Luft (inhalativ). Seit 2004 wurden bei der Firma A. keine Leiterplatten mit den Lötlacken mehr eingesetzt, die verwendet wurden, als der Kläger an den Anlagen gearbeitet hat.
Die Nachfragen bei dem damaligen Meister der Blechbearbeitung – Herrn E. – und einem Mitarbeiter der Leiterplattenfertigung – Herrn F. – ergaben keine genauen Erkenntnisse über die von 1980 bis 1988 eingesetzten Reinigungsmittel. Allgemeiner Meinung nach handelte es sich um Trichlorethylen. Mit Schriftsatz vom 21.01.2009 übersandte der Kläger eine „Bescheinigung zur Vorlage bei der ...