Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. sexuell motivierte Filmaufnahmen durch Arzt. List. Ausnutzung des Vertrauensverhältnisses. kein tätlicher Angriff. Gefahr der Retraumatisierung durch sozialgerichtliches Verfahren
Leitsatz (amtlich)
Filmaufnahmen stellen keinen tätlichen Angriff dar.
Dies gilt auch für die Ausnutzung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patientin, soweit der Arzt die Filmaufnahmen durch eine List anfertigen konnte.
Eine weitere Traumatisierung durch das Sozialgerichtsverfahren ist nicht kausal im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung.
Orientierungssatz
Die Entscheidung ist rechtskräftig. Die Berufung und Revision wurden am 26.01.2016 bzw. 29.07.2016 zurückgewiesen.
Nachgehend
Tenor
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 17. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2010 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Nach dem polizeilichen Ermittlungsbericht vom 25.05.2009 ist der 1966 geborenen Klägerin folgendes widerfahren:
Der Hausarzt der Klägerin habe diese bereits 2 - 3 Jahre zuvor auf eine Studie angesprochen, die sich mit der Erforschung der Muskelbewegungen insbesondere der Schulter- und Rückenpartie beschäftigen würde. Die Klägerin habe sich an dieser Studie interessiert gezeigt, da sie seit ca. fünf Jahren Probleme mit der Schulter habe, von denen ihr Hausarzt wusste. Zur Durchführung der Studie müssten nach Angaben des Hausarztes Aufnahmen von den entsprechenden Körperpartien gemacht werden.
Als sich im Herbst 2008 herausgestellt habe, dass die Klägerin an der Schulter operiert werden müsse, habe sie der Hausarzt erneut auf die Studie angesprochen und angeregt, dass man am besten einmal vor und einmal nach der OP entsprechende Aufnahmen machen solle, um die Veränderungen dokumentieren zu können. Er habe angegeben, die entsprechende Spezialkamera und einen Anzug zu besorgen. Die Aufnahmen sollten bei der Geschädigten zuhause stattfinden, unter der Prämisse, dass weder der Ehemann, noch Kinder oder Haustiere vorhanden seien. Als Begründung habe er angeführt, dass schnelle Bewegungen die Aufnahme der empfindlichen Geräte stören würde.
Letztendlich sei als Termin der 11.12.2008 vereinbart worden. Am Tattag habe der Hausarzt die Geschädigte um 8:00 Uhr aufgesucht und sofort die Tür verriegelt, so dass eine zufällige Störung ausgeschlossen werden konnte. Er habe der Klägerin ein Schriftstück vorgelegt, auf dem nach deren Worten viele Fachausdrücke gestanden haben, die sie nicht wirklich verstanden habe. Sie habe dann hinter einer Nummer unterschreiben müssen.
Danach habe die Klägerin die vom Hausarzt mitgeführte Kleidung anziehen müssen, eine Nylon-Strumpfhose und ein Spitzenhemdchen. Der Hausarzt habe dies gegenüber der Klägerin damit begründet, dass die Kleidungsstücke mit einem speziellen Pulver beschichtet seien, welches von der Spezialkamera erfasst werden könnte und dadurch die Muskelbewegungen aufgenommen werden könnten.
Die Klägerin habe unter den Sachen nichts anziehen dürfen, da Unterwäsche nach Angaben des Hausarztes die Aufnahmen stören würde. Er habe ihr allerdings genehmigt, einen kurzen Rock und eine Bluse darüber zu ziehen. Beim Umziehen habe die Klägerin dann bemerkt, dass im Schritt der Strumpfhose ein großes Loch gewesen sei. Der Zwickel sei nachträglich heraus getrennt worden, so dass das Geschlechtsteil der Geschädigten unbekleidet war.
Der Hausarzt habe die Klägerin dann zunächst in sitzender Position auf Höhe der Schulter gefilmt, wobei sie Bewegungen mit einer Gymnastikhantel aus Schaumstoff vollziehen sollte. Vor diesen Aufnahmen habe die Klägerin allerdings die Bluse wieder ausziehen müssen, so dass der Oberkörper nur mit dem Spitzenhemdchen bekleidet war.
Danach sei durch den Hausarzt eine von zwei mitgeführten Nussmühlen am Küchentisch angebracht worden und die Klägerin habe sich davor stellen und nach vorne beugen müssen. Er habe dann angeordnet, dass die Klägerin hochhackige Schuhe anziehen müsse, um die Spannungen in den Unterschenkeln zu erhöhen. Dann habe er die Kamera zunächst so positioniert, dass er die Klägerin von der Seite filmte. Die Klägerin habe hierbei die Nussmühle betätigen und beim Kurbeln jedes Mal die Knie beugen müssen.
Danach habe der Hausarzt die Kamera mit Beleuchtungseinrichtungen am Boden zwischen den gespreizten Beinen der Geschädigten positioniert und weiter gefilmt. Er habe dies mit der Absicht begründet, die Innenseite der Oberschenkelmuskulatur und Beckenmuskulatur filmen zu müssen, um diese im Rahmen der Studie auswerten zu lassen. Die Klägerin habe hierbei wiederum die Mühle betätigen und bei den Bewegungen in die Knie gehen müssen. Der Hausarzt habe während der Aufnahmen auf dem Boden neben der Geschädigten gelegen und ihre Bewegungen mit Anweisungen mit "Tiefer", "Breiter" oder Ähnli...