Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Verfahrensgebühr. Herabsetzung des Gebührenrahmens wegen vorgerichtlicher Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten als Betreuer im Widerspruchsverfahren. keine überdurchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit. Höhe der Terminsgebühr. Ansatz der Mittelgebühr

 

Orientierungssatz

1. Wird ein Rechtsanwalt im Widerspruchsverfahren lediglich als Betreuer des Mandaten tätig, führt dann aber das anschließende Klageverfahren in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt, so ist die Abrechnung der Verfahrensgebühr auf der Grundlage der Nr 3102 RVG-VV vorzunehmen.

2. Der den Ansatz eines niedrigeren Gebührenrahmens rechtfertigende Synergieeffekt kann nur dann angenommen werden, wenn die Tätigkeiten im Verwaltungs- bzw Widerspruchsverfahren und gerichtlichen Verfahren vergleichbar sind. Eine bloße Mitwirkung als Betreuer in einem vorausgegangenen Verwaltungs- bzw Widerspruchsverfahren vermittelt nicht annähernd so viele Kenntnisse der Sach- und Rechtslage wie das bei einem zuvor beauftragten Rechtsanwalt regelmäßig der Fall ist.

3. Eine überdurchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit lässt sich nicht aus der Befassung mit bereits bekannten und in schriftlichen Stellungnahmen bewerteten medizinischen Unterlagen herleiten.

 

Tenor

Auf die Erinnerung vom 1. August 2007 wird der Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin vom 26. Juli 2007 (S 30 RJ …/04) geändert. Die aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung für das Verfahren erster Instanz wird auf 737,80 € festgesetzt. Die Erinnerung wird im Übrigen, die Anschlusserinnerung vollständig zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

 

Gründe

Gegenstand des Erinnerungsverfahrens ist allein die Festsetzung der Vergütung für die Tätigkeit in erster Instanz. Über den Festsetzungsantrag vom 2. November 2009 wegen der Vergütung für die Vertretung in zweiter Instanz ist - soweit erkennbar - noch nicht entschieden worden.

Die Erinnerung vom 1. August 2007 sowie die (selbstständige) Anschlusserinnerung vom 13. Februar 2008 sind nach § 56 RVG zulässig, weil sie nicht fristgebunden sind (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, § 56 Rn. 7 m.w.N.). Die Erinnerung ist zum Teil, die Anschlusserinnerung im Ergebnis nicht erfolgreich. Die Vergütung ist nach folgender Berechnung festzusetzen:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG

400,00 Euro

Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG

200,00 Euro

Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, Nr. 7002 VV RVG

 20,00 Euro

Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG

 117,80 Euro

Gesamt:

737,80 Euro

Im Einzelnen gilt Folgendes:

1.) Verfahrensgebühr

Entgegen der Auffassung des Erinnerungsgegners ist die Gebühr auf Grundlage der Nr. 3102 VV RVG zu bestimmen. Denn die Verfahrensbevollmächtigte des Erinnerungsführers war im Widerspruchsverfahren nicht in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwältin, sondern lediglich in Wahrnehmung ihrer Aufgabe als Betreuerin tätig. Dies ergibt sich zum einen aus dem Widerspruchsschreiben vom 5. Juli 2004, nach der Widerspruch ausdrücklich “in vorbezeichneter Betreuungsangelegenheit„ erhoben wurde, zum anderen aus dem Umstand, dass die Verfahrensbevollmächtigte für das Widerspruchsverfahren keinerlei Gebühren nach dem RVG abgerechnet oder gar erhalten hat. Wird ein Rechtsanwalt im Widerspruchsverfahren als Betreuer des Mandanten tätig, führt dann aber das anschließende Klageverfahren in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt, so ist die Abrechnung der Verfahrensgebühr auf Grundlage der Nr. 3102 VV RVG vorzunehmen (SG Berlin, Beschluss vom 17. August 2009, -S 164 SF 678/09 E-, unveröffentlicht; vgl. auch SG Berlin, Beschluss vom 26. Juli 2010, -S 180 SF 1443/09 E-, zum Verhältnis der Nrn. 2500 und 2501 VV RVG, jetzt Nrn. 2400 und 2401 VV RVG, dokumentiert bei juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Zunächst heißt es in der Gesetzesbegründung zu Nr. 3103 VV RVG (BT-Drucks. 15/1971, S. 212), dass der niedrigere Rahmen für den Fall vorgeschlagen werde, dass der Rechtsanwalt bereits im Verwaltungsverfahren oder in einem dem gerichtlichen Verfahren vorausgehenden weiteren Verwaltungsverfahren tätig geworden ist. Es wird also auf die Eigenschaft als Rechtsanwalt abgestellt. Weiter kann der den Ansatz des niedrigeren Gebührrahmens rechtfertigende Synergieeffekt nur dann angenommen werden, wenn die Tätigkeiten im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren und gerichtlichen Verfahren vergleichbar sind. Dies ist hier aber nicht der Fall. Denn bei näherer Betrachtung sind die in der Eigenschaft als Betreuer vorgenommenen Tätigkeiten nicht solche, die ein Rechtsanwalt bei der Durchführung eines Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahrens übernimmt. Bei einer reinen Mitwirkung als Betreuer in einem Verwaltungs- / Widerspruchsverfahren fehlt regelmäßig jegliche Auseinandersetzung mit der Rechtslage, wie sie ein im Verwaltungs- / Widerspruchsverfahren beauftragter Rechtsanwalt zu leisten hat. Der Betreuer nimmt hier vielme...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?