Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. einstweiliges Rechtsschutzverfahren. Verfahrensgebühr. Nichtanwendbarkeit des verminderten Gebührenrahmens der Nr 3103 RVG-VV. Synergieeffekt bei "einheitlicher" Einleitung von Widerspruchsverfahren und Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz. fiktive Terminsgebühr nach Nr 3106 RVG-VV. keine Fristgebundenheit der Erinnerung gegen Festsetzung nach § 55 RVG
Orientierungssatz
1. Auch bei der Tätigkeit des Rechtsanwaltes im Verwaltungs- oder Vorverfahren ist die Verfahrensgebühr nach Nr 3102 RVG-VV (und nicht nach Nr 3103 RVG-VV) anzusetzen (vgl SG Berlin vom 10.6.2009 - S 165 SF 601/09 E = NJW-Spezial 2009, 461).
2. Innerhalb des Gebührenrahmens der Nr 3102 RVG-VV ist die Mittelgebühr herabzusetzen, wenn der Bevollmächtigte gleichzeitig im Widerspruchsverfahren tätig und der anwaltliche Aufwand nach dem dadurch entstandenen Synergieeffekt entsprechend geringer war (vgl SG Berlin vom 10.6.2009 aaO).
3. In Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs 1 und Abs 2 SGG kann eine Gebühr nach Nr 3106 RV-VV in Gestalt einer "fiktiven" Terminsgebühr nicht anfallen, wenn ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat (vgl SG Berlin vom 30.1.2009 - S 165 SF 7/09 E).
4. Erinnerungen des Rechtsanwaltes und der Staatskasse nach § 56 RVG gegen die Festsetzung nach § 55 RVG sind unbefristet. Sie können allenfalls verwirkt sein, wenn sich die Beteiligten darauf einstellen konnten, dass auch die Kostenfragen längst geklärt sind, nachdem auch das Ausgangsverfahren schon seit langem abgeschlossen ist.
Tenor
Auf die Anschlusserinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Sozialgerichts vom 29. September 2008 werden die zu erstattenden Kosten auf 321,30 EUR festgesetzt.
Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
Gründe
Die zulässige Erinnerung ist nicht begründet.
Die Anschlusserinnerung ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht wegen Verspätung zurückzuweisen. § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO findet keine analoge Anwendung. Im Gegensatz zu Erinnerungen nach § 573 ZPO sind Erinnerungen des Rechtsanwaltes und der Staatskasse nach § 56 RVG gegen die Festsetzung nach § 55 RVG unbefristet, sie können allenfalls verwirkt sein (Verwirkung im Einzelfall ein Jahr nach der Festsetzung, LG Aachen, JurBüro 1987, 585), wenn sich die Beteiligten darauf einstellen konnten, dass auch die Kostenfragen längst geklärt sind, nachdem auch das Ausgangsverfahren schon seit langem abgeschlossen ist, jedoch nicht alleine wegen Zeitablaufes (Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Handkommentar, 3. Aufl. 2008, § 56 Rz. 10 m.w.N.). Keine der genannten Voraussetzungen für eine Verwirkung liegen hier vor. Das Ausgangsverfahren war faktisch erst mit Erlass der des PKh-Beschlusses vom 19. August 2008 abgeschlossen. Die Erinnerung vom 8. Oktober 2008 richtete sich zunächst (vor Klarstellung im Schriftsatz vom 9. Dezember 2008) gegen einen - nicht existenten - Beschluss vom 19. November 2007. Zum Zeitpunkt der Erhebung der Anschlusserinnerung vom 17. März 2009 war die Vergütungsfrage angesichts der offenen Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 29. September 2008 nicht geklärt und auch die o.g. Jahresfrist nicht abgelaufen.
Die Anschlusserinnerung ist im Ergebnis auch begründet. Danach waren die zu erstattenden Kosten auf den Betrag von 321,30 EUR lt. nachstehender Berechnung festzusetzen:
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Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG |
250,00 EUR |
Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG (19 %) |
51,30 EUR |
Summe |
321,30 EUR |
Nach dem Beschluss der 165. Kammer vom 10. Juni 2009 - S 165 SF 601/09 E (in juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de sowie http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/page/sammlung.psml/bs/10 ) ist die Verfahrensgebühr - auch bei Tätigkeit des Anwaltes im Verwaltungs- oder Vorverfahren - nach Nr. 3102 VV RVG anzusetzen und nicht nach Nr. 3103 VV RVG wie im angegriffenen Beschluss.
Die Kammer hält einen Betrag von 250,00 EUR für die Verfahrensgebühr für billig, und zwar aus folgenden Gründen:
Innerhalb des Gebührenrahmens der Nr. 3102 VVRVG ist die dortige Mittelgebühr von 250,00 EUR vorliegend zunächst um 1/3 (auf 166,66 EUR, aufgerundet auf 170.00 EUR) herabzusetzen, da der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers und Anschlusserinnerungsgegners gleichzeitig im Widerspruchsverfahren tätig war und der anwaltliche Aufwand entsprechend dem dadurch entstandenen Synergieeffekt entsprechend geringer, und zwar aus den Gründen des genannten Beschlusses vom 10. Juni 2009 - S 165 SF 601/09 E -. Dazu heißt es darin:
“Zur Bestimmung der konkreten Gebührenhöhe nach § 14 RVG gilt nach Auffassung der Kammer bei der Berücksichtigung von Synergieeffekten grundsätzlich folgendes:
Eine Tätigkeit des Bevollmächtigten im Vorverfahren führt unzweifelhaft zu einem geringeren Einarbeitungsaufwand im Eilverfahren. Dieser ist innerhalb des Gebührenrahmens der Nr. 3102 VV RVG zu berücksichti...