Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. kein Anspruch auf Sozialhilfe. Zumutbarkeit der Rückkehr in Herkunftsstaat. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Erwerbsfähige Unionsbürger, die gemäß § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 von Leistungen nach dem SGB 2 ausgeschlossen sind, haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB 12 (entgegen BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen; entgegen BSG vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen; entgegen BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen und - B 14 AS 15/15 R).

2. Dem Grundgesetz lässt sich ein Gebot der Gewährung von laufenden Existenzsicherungsleistungen für Unionsbürger nicht entnehmen, wenn diesen eine Rückkehr in den Herkunftsmitgliedstaat zur Inanspruchnahme der dortigen Sozialleistungssysteme weder unmöglich noch unzumutbar ist.

 

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Der am 7. März 2016 beim Sozialgericht Berlin eingegangene sinngemäße Antrag,

den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin umgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII einschließlich Leistungen für Unterkunfts- und Heizkosten zu gewähren,

ist zulässig, aber nicht begründet.

Mangels ausdrücklicher zeitlicher Beschränkung des Antrages geht die Kammer davon aus, dass die Antragstellerin Leistungen für 1 Jahr begehrt (vgl. § 44 Abs. 3 S. 1 SGB XII).

Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Voraussetzung ist mithin das Vorliegen eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes, wobei der Anordnungsanspruch den materiellen Anspruch auf die Regelung an sich beinhaltet und der Anordnungsgrund ein besonderes Eilbedürfnis, also die Dringlichkeit der begehrten Regelung für den Antragsteller voraussetzt. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass durch eine einstweilige Anordnung grundsätzlich keine endgültige Entscheidung vorweggenommen werden darf. Sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG glaubhaft zu machen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze vermag die Kammer hier keinen Anordnungsanspruch zu erkennen.

Die Antragstellerin hat weder einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) gegen den Beigeladenen (hierzu sogleich unter 1.) noch einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gegen den Antragsgegner (hierzu unter 2.) glaubhaft gemacht. Im Einzelnen:

1.

Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II gegenüber dem nach § 75 SGG beigeladenen Jobcenter glaubhaft gemacht, denn sie ist als lediglich zur Arbeitssuche in Deutschland aufenthaltsberechtigte Unionsbürgerin von solchen Leistungen ausgeschlossen.

Die 1976 geborene Antragstellerin, die slowenische Staatsangehörige ist, hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet, § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II, und ist auch im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 SGB II erwerbsfähig, denn sie hat das 15. Lebensjahr vollendet, zugleich die für sie nach § 7a SGB II maßgebliche Altersgrenze noch nicht erreicht, und ist mangels hinreichender entgegenstehender Anhaltspunkte in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, was ihr als Unionsbürgerin in Deutschland auch erlaubt ist (vgl. § 8 SGB II).

Die Antragstellerin ist jedoch nach § 7 Abs.1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, da sie sich allenfalls zur Arbeitssuche im Bundesgebiet aufhält. Alternative Aufenthaltsgründe nach dem FreizügG/EU oder dem Aufenthaltsgesetz, welche die Antragstellerin zum legalen Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigen und zugleich dazu führen würden, dass ihr ein Aufenthalt nicht allein zur Arbeitssuche erlaubt wäre und damit der Leistungsausschluss des § 7 Abs.1 S. 2 Nr. 2 S. 2 SGB II im Ergebnis nicht durchgreifen würde (vgl. BSG, Urt. v. 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R, Rn. 27; juris), sind weder dargelegt noch ersichtlich.

Selbst wenn die Antragstellerin aktuell gar keine Arbeit mehr suchen sollte, so wäre sie gleichwohl, im Wege des Erst...

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