Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. "dieselbe Angelegenheit" iS des Gebührenrechts. Bekanntgabe mehrerer Verwaltungsakte in Form eines Bescheides durch Grundsicherungsträger. Erhöhung von Geschäfts- und Verfahrensgebühr bei mehreren Auftraggebern. Erstattung nur der "notwendigen" außergerichtlichen Kosten. fiktive Terminsgebühr nach Nr 3106 RVG -VV. Annahme eines Teilanerkenntnisses außerhalb der mündlichen Verhandlung
Orientierungssatz
1. "Eine Angelegenheit" im Sinne des RVG kann auch mehrere Gegenstände umfassen. Ob mehrere Gegenstände dieselbe oder mehrere Angelegenheiten darstellen, hängt davon ab, ob sie von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt (vgl BVerwG vom 9.5.2000 - 11 C 1/99 = NJW 2000, 2289; VGH München vom 5.11.2007 - 23 ZB 07.2340).
2. Ein Grundsicherungsträger ist rechtlich nicht gehindert, mehrere Verwaltungsakte, die unterschiedlichen Adressaten gegenüber wirksam werden sollen, in der Form eines Bescheides bekannt zu geben, sofern Bescheidadressaten und Inhaltsadressaten hinreichend bestimmt sind. Die gewählte Form der Bescheiderteilung ist daher kein entscheidungserheblicher Grund zur Klärung der Frage, ob eine Angelegenheit im Sinne des Gebührenrechts vorliegt.
3. Hat ein Rechtsanwalt mehrere Auftraggeber, so sind die Gebührenrahmen für die Geschäfts- und die Verfahrensgebühr nach Nrn 2400 und 3103 RVG-VV bei Mindest- und Höchstbetrag um 60 vH nach Nr 1008 RVG-VV zu erhöhen.
4. Es steht nicht im Belieben eines Rechtsanwalts bzw der Beteiligten, durch die Wahl einer bestimmten Verfahrensvariante ein Aufblähen des Verfahrens in kostenrechtlicher Hinsicht zu bewirken. Auch wenn dies vom Auftraggeber ausdrücklich gewünscht sein sollte, dies steht einer Kostenbegrenzung auf das notwendige Maß im Kostenerstattungsverfahren nicht entgegen (vgl hierzu OLG Hamm vom 30.10.2008 - 6 WF 400/08 = MDR 2009, 294).
5. Eine Terminsgebühr nach Nr 3106 RVG-VV in Form der "fiktiven Terminsgebühr" setzt voraus, dass das Verfahren nach Annahme eines vollständigen Anerkenntnisses ohne mündliche Verhandlung geendet hat; lediglich ein Teilanerkenntnis löst keine Terminsgebühr nach Nr 3106 RVG-VV aus.
Tenor
Auf die Erinnerungen gegen die Kostenfestsetzungsbeschlüsse vom 07.04.2009 (S 107 AS 1…./08), vom 13.05.2009 (S 106 AS 1…./08) und vom 23.04.2009 (S 107 AS 1…./08) werden die Kostenfestsetzungsbeschlüsse aufgehoben und der Betrag der zu erstattenden außergerichtlichen Kosten für die drei vorgenannten Verfahren wird auf 1.054,34 EUR festgesetzt. Dieser Betrag ist vom 09.02.2009 an mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz (§ 247 BGB) zu verzinsen.
Die Kosten der Erinnerungsverfahren trägt der Erinnerungsgegner.
Gründe
I.
Mit drei Bescheiden vom 31.10.2007 verfügte der Erinnerungsführer zulasten der von dem Erinnerungsgegner vertretenen Mandanten die Aufhebung von Leistungsbewilligungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04.2007 bis 31.07.2007 und verlangte die Erstattung vermeintlich zu Unrecht gezahlter Leistungen gegenüber jedem einzelnen Mandanten und zwar in Höhe von zweimal 659,64 EUR (Ehegatten) und einmal 444,79 EUR (Sohn). Die drei Mandanten des Erinnerungsgegners sind eine Familie und bildeten zum maßgeblichen Zeitpunkt eine Bedarfsgemeinschaft iSd SGB II. Die Aufhebung der Leistungsbewilligungen begründete der Erinnerungsführer mit dem Wegfall der Hilfebedürftigkeit, da die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft mit dem eigenen sowie mit dem einzusetzenden Einkommen der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in der Lage seien, ihren Bedarf zu decken.
Gegen die einzelnen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 31.10.2007 erhob der Erinnerungsgegner namens und in Vollmacht jedes einzelnen Mandanten Widerspruch, die der Erinnerungsführer mit (drei) Widerspruchsbescheiden vom 04.03.2008 und 05.03.2008 zurückwies.
Dagegen richteten sich die drei am 10.04.2008 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen, nahezu wortgleichen Klagen. Die Klagen wurden unter den Verfahrensaktenzeichen S 107 AS 1…../08, S 107 AS 1…../08 und S 106 AS 1…./08 registriert. Die Klagen waren auf Aufhebung der erlassenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide gerichtet.
Mit Bescheiden vom 11.12.2008 ermäßigte der Erinnerungsführer die Erstattungsforderung gegenüber den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft auf zweimal 355,87 EUR (Ehegatten) und einmal 166,56 EUR (Sohn) wegen fehlerhafter Anwendung der Vorschrift des § 40 Abs. 2 SGB II. Der Erinnerungsgegner erklärte daraufhin für die Mandanten die “Annahme der Anerkenntnisse„ und beantragte zugleich, die notwendigen außergerichtlichen Kosten nach § 193 SGG dem Beklagten aufzugeben. Der Beklagte erkannte daraufhin die Kostentragungslast in allen drei gerichtlichen Verfahren in voller Höhe an.
Mit Abtretungsvertrag vom 12.02.2009 traten die Mandanten ihre Kostenerstattungsansprüche gegen den Beklagten in di...