Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Höhe der Gebühr bei mehreren identischen Untätigkeitsklagen. notwendige Aufwendungen. Kostenminderungspflicht. "dieselbe Angelegenheit" im Sinne des Gebührenrechts. Höhe der Termins- und Verfahrensgebühr bei mehreren Klagegegenständen
Orientierungssatz
1. Betreffen mehrere Verfahren dieselbe Sach- und Rechtsfrage, so ist eine jeweils getrennte Gebührenabrechnung ausgeschlossen, wenn die vom Bevollmächtigten gewählte Verfahrensweise, anstelle eines gemeinsamen Untätigkeitsklageverfahrens für alle noch nicht beschiedenen Widersprüche sechs gesonderte Klageverfahren zu betreiben, gegen das standesrechtliche Gebot und die mandatvertragliche Pflicht einer wirtschaftlichen und kostensparenden Prozessführung verstößt.
2. Eine Tätigkeit in "derselben Angelegenheit" im Sinne von § 15 Abs 2 S 1 RVG kann auch mehrere Gegenstände umfassen: Dies ist der Fall, wenn den am selben Tag ergangenen Änderungsbescheiden derselbe rechtliche und tatsächliche Grund zugrunde lag, der Bevollmächtigte am selben Tag wörtlich und inhaltlich weitgehend gleichlautende Widerspruchsschreiben und Widerspruchsbegründungen fertigte, die sich nur im Hinblick auf den jeweiligen Bescheid und den betroffenen Leistungszeitraum unterschieden und taggleich Untätigkeitsklagen erhoben wurden.
3. Bei einer Untätigkeitsklage ist die Termins- bzw. Verfahrensgebühr für jeden weiteren Klagegegenstand jeweils um 10 v.H. der Mittelgebühr zu erhöhen.
Tenor
Auf die Erinnerung vom 4. November 2010 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin vom 20. Oktober 2010 (S 59 AS …/10) geändert. Die zu erstattenden Kosten werden auf 85,68 € festgesetzt. Der Ausspruch zur Verzinsung gilt entsprechend.
Kosten des Erinnerungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der für das vorangegangene Hauptsacheverfahren vom Erinnerungsführer an den Erinnerungsgegner zu erstattenden Kosten.
Der Erinnerungsgegner erhob - anwaltlich vertreten durch seinen Bevollmächtigten - am 15. Juni 2010 Untätigkeitsklage und beantragte, den Erinnerungsführer zu verpflichten, über seinen Widerspruch vom 10. März 2010 gegen den Änderungsbescheid vom 1. März 2010, der den Bewilligungszeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2009 betraf, zu entscheiden. Taggleich erhob der Erinnerungsführer - wiederum anwaltlich von seinem Bevollmächtigten vertreten - fünf weitere Untätigkeitsklagen (Aktenzeichen des Sozialgerichts Berlin S 43 AS …/10, S 53 AS …/10, S 55 AS …/10, S 61 AS …/10 und S 63 AS …/10) betreffend fünf weitere noch nicht beschiedene Widersprüche vom 10. März 2010 gegen fünf weitere Änderungsbescheide vom 1. März 2010. Den Änderungsbescheiden lag jeweils dieselbe Sach- und Rechtsfrage zugrunde, nämlich die Berücksichtigung der Lebensgefährtin des Erinnerungsführers in der Bedarfsgemeinschaft. Der Erinnerungsführer bestreitet das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft. Die Änderungsbescheide betreffen jeweils unterschiedliche Bewilligungszeiträume.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2010 wies der Erinnerungsgegner alle sechs Widersprüche vom 1. März 2010 als unbegründet zurück. Daher erklärte der Bevollmächtigte den Rechtsstreit für erledigt und beantragte die Festsetzung von zu erstattenden Kosten in Höhe von 238,- € (bestehend aus Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG von 100,- €, Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG von 80 €, Kommunikationspauschale Nr. 7002 VV RVG von 20,- € und Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG von 38,- €). Mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2010 erklärte sich der Erinnerungsgegner zur Übernahme der notwendigen außergerichtlichen Kosten bereit, wandte sich jedoch gegen die Höhe der beantragten Kosten. Es komme nur die Festsetzung eines Betrags von 85,68 €, bestehend aus der jeweiligen Mindestgebühr der Verfahrens- und Terminsgebühr sowie der Kommunikationspauschale und der entsprechenden Umsatzsteuer, als billig in Betracht, da sich aus der parallelen Bearbeitung der sechs Untätigkeitklagen erhebliche Synergieeffekte ergäben. Im Klageverfahren S 61 AS …/10 seien bereits die beantragten Kosten von 238,- € erstattet worden.
Mit Beschluss vom 20. Oktober 2010 setzte die Urkundsbeamtin die zu erstattenden Kosten auf 238,- € nebst Zinsen fest. Hiergegen richtet sich die am 8. November 2010 beim Gericht eingegangene Erinnerung vom 4. November 2010, mit der der Erinnerungsführer die Festsetzung von Kosten nur in Höhe von 85,68 € weiterverfolgt.
II.
Die Erinnerung ist zulässig und begründet. Zu erstatten ist nach Überzeugung der Kammer im vorliegenden Verfahren lediglich ein Betrag von 53,55 €, der sich aus einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 25,- € (10 % der Mittelgebühr, siehe dazu unten unter c) ) einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG in Höhe 20,- € (10 % der Mittelgebühr) sowie der entsprechenden Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG (8,55 €) zusammensetzt, und zwar aus folgenden Gründen:
a) Die Festsetzung von 238,- € als zu erstattende Kosten, was der s...