Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Angemessenheitsprüfung. Dreipersonenhaushalt in Berlin. konkrete Angemessenheit. Prüfung der Verfügbarkeit bzw Anmietbarkeit angemessener Unterkünfte

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Bestimmung, ob Wohnungen für Leistungsberechtigte zu den als angemessen erachteten Werten tatsächlich zur Verfügung stehen, ist ein Maß der Verfügbarkeit zu bestimmen. Leistungsberechtigte können in Orientierung an § 4 Abs 1 S 2 Nr 2 Regelbedarfsermittlungsgesetz (juris: RBEG 2017) auf Angemessenheitswerte verwiesen werden, zu denen 20 Prozent der im Streitzeitraum angebotenen Wohnungen in angemessener Größe angemietet werden konnten.

2. Die bisherigen Berechnungen des Landes Berlin zum Nachweis der Verfügbarkeit von Wohnraum sind ungeeignet. Von der in Bezug genommenen Leerstandsquote kann nicht auf die Anmietbarkeit von Wohnraum geschlossen werden. Der Vergleich allein mit dem Bedarf derjenigen Leistungsberechtigten, die im gleichen Zeitraum zur Kostensenkung neu aufgefordert wurden, ist zur Schätzung der Nachfragekonkurrenz nicht geeignet.

 

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 22. November 2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24. November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Januar 2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 1. Juni 2019 sowie der Aufhebungsbescheide vom 7. Januar 2021 verurteilt, den Klägern weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II wie folgt zu gewähren:

- für Februar bis Juli 2019 monatlich je weitere 46,66 EUR.

2. Die Erstattungsbescheide vom 7. Januar 2021 werden hinsichtlich der Monate Februar 2019 bis Juni 2019 ganz und hinsichtlich der Monate Juli und August 2019 aufgehoben, soweit insgesamt in diesen beiden Monaten ein höherer Betrag als jeweils 3,33 EUR erstattet verlangt wird.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Berufung wird zugelassen.

5. Der Beklagte hat den Klägern 10 Prozent der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Kosten für Unterkunft und Heizung im Zeitraum von Februar 2019 bis Oktober 2019.

Die Kläger zu 1) und 2) sind Eltern des im Jahr 2005 geborenen Klägers zu 3). Die Klägerin zu 1) ist u.a. wegen einer Nierenfehlfunktion mit einem Grad der Behinderung von 100 anerkannt schwerbehindert und bezieht eine Erwerbsminderungsrente. Sie erhielt im Jahr 2007 eine Nierenspende, im Mai 2011 versagte das Transplantat, seitdem muss sich die Klägerin wöchentlich dreimal einer Dialyse unterziehen. Hierfür kann sie für die Hin- und Rückfahrt jeweils einen von der Krankenkasse finanzierten Krankentransport nutzen. Von November 2015 bis Mai 2018 ging sie einer geringfügigen Beschäftigung nach. Der Kläger zu 2) geht einer Beschäftigung als Lkw-Fahrer nach. Der Kläger zu 3) ist Schüler, für ihn wird Kindergeld gezahlt.

Die Kläger bezogen im Jahr 2017 keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten, da sie aufgrund des erzielten Einkommens nicht hilfebedürftig waren. Ende 2017 schlossen die Kläger zum 1. Januar 2018 einen Mietvertrag über eine neu errichtete Wohnung zu einem monatlichen Mietzins von 1.191,57 EUR, der sich zusammensetzt aus einer Kaltmiete von 974, 91 EUR, Nebenkostenvorauszahlungen von 167,01 EUR und Heizkostenvorauszahlungen von 49,65 EUR.

Im Dezember 2017 beantragten die Kläger beim Beklagten die Gewährung von Arbeitslosengeld II mit der Begründung, dass ihre Einkünfte nun zur Bedarfsdeckung nicht ausreichten. Wegen der Erkrankung der Klägerin zu 1) sei der Umzug in eine größere Wohnung erforderlich gewesen. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 6. März 2018 zunächst Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung nur des vorherigen Bedarfs für Unterkunft und Heizung. Mit Änderungsbescheid vom 22. Mai 2018 bewilligte der Beklagte den Kläger rückwirkend Arbeitslosengeld II unter Einschluss der tatsächlichen Miethöhe, informierte die Kläger mit Schreiben vom selben Tag über die Unangemessenheit des aktuellen Unterkunftsbedarfs und hörte vor Erlass einer Kostensenkungsaufforderung an. Mit Schreiben vom 9. Juli 2018 forderte der Beklagte die Kläger auf, die Unterkunftskosten zu senken. Wegen der Einzelheiten der Kostensenkungsaufforderung wird auf das Schreiben vom 9. Juli 2018 verwiesen.

Auf einen Weiterbewilligungsantrag gewährte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 22. November 2018 Leistungen nach dem SGB II von Dezember 2018 bis November 2019. Dabei berücksichtigte er neben den Regelbedarfen bei der Klägerin zu 2) einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung und als Bedarf für Unterkunft und Heizung bis einschließlich Januar 2019 die tatsächlichen Mietkosten von insgesamt 1.191,57 EUR. Ab Februar 2019 berücksichtige er die nach seiner Auffassung angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung mit einer Bruttokaltmiete von 604,80 EUR und Heizkosten von 49,65 EUR monatlich. Mit...

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