Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Praxisgebühr bei ambulanten Leistungen im Krankenhaus. Verpflichtung der Leistungserbringer zur Schaffung der Voraussetzungen für ein effektives Einzugsverfahren. Zurückbehaltungsrecht der Kassenärztlichen Vereinigung. Ermessenausübung. Einleitung des Schlichtungsverfahrens. rechtliche Verbindlichkeit der Rahmenempfehlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die ambulante Notfallversorgung durch Krankenhäuser gem § 75 Abs 1 S 2 SGB 5 ist Teil der vertragsärztlichen Versorgung (vgl BSG vom 16.4.1986 - 6 RKa 34/84 = SozR 2200 § 368d Nr 5 und vom 24.9.2003 -B 6 KA 51/02 R = SozR 4-2500 § 75 Nr 2). In diesem Fall gelten nicht nur die die betroffenen Leistungserbringer begünstigenden Regelungen über eine vertragsärztliche Vergütung, sondern auch die sonstigen, für die Leistungserbringer gegebenenfalls mit Nachteilen verbundenen Regelungen der vertragsärztlichen Versorgung.

2. Die Verpflichtung zum Erheben der Praxisgebühr durch die Leistungserbringer auf der Grundlage von § 18 Abs 7 Buchst a S 1 BMV-Ä bzw § 21 Abs 7 Buchst a S 1 EKV-Ä ist nicht zu beanstanden; dabei ist "Erheben" nicht im Sinne von Geltendmachen, sondern im Sinne von erfolgreichem Einziehen, also der tatsächlichen Realisierung der Praxisgebühr durch Zahlung des Patienten, zu verstehen.

3. Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Kassenärztliche Vereinigung unter Hinweis auf die fehlende Patientenbindung in Erste-Hilfe-Stellen eine besonders gute Organisation des Einzugsverfahrens fordert, weil nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Hemmschwelle für Patienten, die Praxisgebühr (nach bereits erfolgter Behandlung) nicht mehr zu bezahlen, im Rahmen einer einmaligen Notfallbehandlung niedriger ist als in einer Arztpraxis, die man immer wieder aufsucht und in der man als Patient bekannt ist.

4. Um einen möglichen Schadensersatzanspruch der Krankenkassen nach §§ 49 BMV-Ä, 45 EKV-Ä zu sichern, kommt die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts grundsätzlich bereits bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen in Betracht, und Gründe, von der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts Abstand zu nehmen, können allenfalls in der fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des betroffenen Leistungserbringers liegen.

5. Die Einleitung des Schlichtungsverfahrens (§ 18 Abs 7 Buchst a S 3 BMV-Ä/ § 21 Abs 7 Buchst a S 3 EKV-Ä) ist nicht tatbestandliche Voraussetzung des Zurückbehaltungsrechts.

6. Die Rahmenempfehlung nach § 115 Abs 5 SGB 5 dient allein der Vereinheitlichung und Koordination von Verträgen auf Landesebene; sie ist damit nicht unmittelbar rechtlich verbindlich.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Zurückbehaltung von Honoraranteilen wegen nicht einbehaltener Praxisgebühren in den Quartalen I, II, und III/2005. Außerdem wendet sie sich gegen die Höhe der Honorarfestsetzung der Quartale II/2005 und III/2005.

Die Klägerin betreibt das ...-...-Krankenhaus, das in seiner Rettungsstelle unter der Abrechnungsnummer 72-74122 Leistungen der ambulanten Notfallversorgung erbringt. Dem Honorarbescheid für das Quartal I/2005 fügte die Beklagte eine Anlage mit eigener Rechtsbehelfsbelehrung bei, mit der sie unter Hinweis auf § 18 Abs. 7a BMV-Ä einen Betrag in Höhe von 8.610,- € wegen nicht einbehaltener Praxisgebühren zurückbehielt. Sie stellte eine Nichteinzugsquote (Anteil der Behandlungsfälle, in denen die Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 SGB V nicht erhoben wurde, an der Gesamtzahl der zuzahlungspflichtigen Behandlungsfälle) von 46,79 % fest. Am 1. November 2005 (Eingang bei der Beklagten) legte die Klägerin “gegen den Honorarbescheid vom 5.10.2005„ Widerspruch ein und führte weiter aus: Der Honorarbescheid enthalte eine Kürzung von 8.610,- € für nicht einbehaltene Praxisgebühren. Die Rechtsauffassung der Beklagten widerspreche der zwischen den GKV-Spitzeverbänden und der KBV mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft geschlossenen “Rahmenempfehlung zum Erheben der Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 SGB V (Praxisgebühr) bei ambulanten Leistungen im Krankenhaus„ (im Folgenden: Rahmenempfehlung). Eine Zurückbehaltung von Teilen der Vergütung allein unter dem Hinweis auf eine bestehende Differenz zwischen einzubehaltender und einbehaltener Zuzahlung unterlaufe die vertraglichen Regelungen und führe zu einer einseitigen verschuldensunabhängigen Verlagerung des Inkassorisikos zu Lasten des Krankenhauses. Patienten, die akut behandlungsbedürftig seien und die Praxisgebühr vor der Behandlung nicht entrichteten, erhielten einen Überweisungsträger sowie eine schriftliche Mahnung. Mit Schreiben an die Beklagte vom 10. Februar 2006 erinnerte die Klägerin an ihren Widerspruch und eine Stellungnahme. Sie forderte die Beklagte auf, den aktuellen Sachstand mitzuteilen oder die Nachzahlung von 8.610,- € für die Kürzungen bezüglich nicht einbehaltener Praxisgebühr zu veranlassen.

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