Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattung von Kosten im Vorverfahren. unentgeltliche Tätigkeit des Rechtsanwalts. Vergütungsanspruch gegen den erstattungspflichtigen Gegner. keine Aufrechnung mit Ansprüchen gegen den Leistungsempfänger. Rechtsgrundlage
Leitsatz (amtlich)
Eine Aufrechnung gegen den Vergütungsanspruch eines Rechtsanwalts mit Ansprüchen gegen den Leistungsempfänger ist nicht möglich, wenn der Rechtsanwalt seine Tätigkeit gegenüber dem Leistungsempfänger unentgeltlich (pro bono) erbracht hat.
Orientierungssatz
Die Verweisung in § 4 Abs 1 S 4 RVG auf die Vorschrift des § 9 BerHG kann nur als eingeschränkte Rechtsgrundverweisung dahin verstanden werden, dass der Bevollmächtigte - sofern der Gegner ohne die pro bono - Vereinbarung zur Erstattung der Kosten gegenüber dem Rechtsuchenden verpflichtet wäre - einen Vergütungsanspruch gegen den Gegner erwirbt.
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger einen Betrag von 380,80 € zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren nach einer Aufrechnungsentscheidung des Beklagten.
Die Mandantin des Klägers, Frau Z., begehrte in einem Überprüfungsverfahren die Überprüfung bestandskräftig gewordener Bescheide seit dem 1. Januar 2013. Nachdem der Überprüfungsantrag zunächst vom Beklagten abgelehnt worden war, half dieser dem Begehren der Frau Z. auf deren Widerspruch ab. Der Kläger, der Frau Z. im Widerspruchsverfahren vertreten hatte, hatte ihr gegenüber auf eine Vergütung verzichtet (pro bono).
Mit Schreiben vom 02.07.2015 begehrte der Kläger Kostenerstattung in Höhe von 380,80 € vom Beklagten. Dieser erkannte die Kostenforderung mit Schreiben vom 08.07.2015 zwar in voller Höhe an, teilte jedoch mit, es ergebe sich kein auszuzahlender Kostenerstattungsanspruch. Der Beklagte habe gegen den sich zugunsten der Mandantin des Klägers ergebenden Kostenerstattungsanspruch mit einem eigenen Erstattungsanspruch aufgerechnet. Den hiergegen am 05.08.2015 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.2015 als unzulässig zurück. Die Aufrechnung sei kein Verwaltungsakt, sondern die Wahrnehmung eines zivilrechtlichen Gestaltungsrechts.
Mit seiner am 28.08.2015 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter.
Zur Begründung macht er geltend, es liege bereits keine Aufrechnungslage vor. Aufgrund der pro bono – Konstellation gem. § 9 BerHG sei die Kostenforderung originär bei ihm entstanden. In der Person der Mandantin sei kein Anspruch gegen den Beklagten auf Kostenerstattung entstanden, weshalb auch nicht gegen einen solchen Anspruch aufgerechnet werden könne. Die Nichtgewährung von Beratungshilfe stehe nicht entgegen, da ausreichend sei, dass die Voraussetzungen für deren Gewährung vorlägen. Das sei der Fall. Weiter verweist der Kläger darauf, dass selbst bei fehlender pro bono – Konstellation die sich gegenüberstehenden Forderungen nicht gleichartig wären: der Geldforderung des Beklagten stehe dann ein Anspruch auf Freistellung der Mandantin von den Rechtsverfolgungskosten gegenüber. Der Kläger rügt außerdem, dass die Aufrechnungserklärung schematisch, ohne Ermessensausübung erfolgt sei. Schließlich hält er die Aufrechnung für verfassungswidrig.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Aufrechnungsbescheids vom 08.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.08.2015 zu verurteilen, ihm einen Betrag von 380,80 € zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft er sich zunächst auf die Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid. Selbst bei Beratungshilfe würde der Forderungsübergang einer Aufrechnung nicht entgegenstehen. Da Beratungshilfe nicht beantragt oder gewährt wurde, könne auf diese auch nicht abgestellt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
I.
Die als kombinierte Anfechtungs- und allgemeine Leistungsklage erhobene Klage ist unstatthaft, soweit der Anfechtungsantrag in Rede steht, denn die Aufrechnungserklärung des Beklagten ist kein Verwaltungsakt (vgl. LSG Rheinland-Pfalz v. 6.5.2015 – L 6 AS 288/13, RdNr. 16; juris). Das Schreiben des Beklagten vom 08.07.2015 stellt auch keinen Form-Verwaltungsakt dar; Anhaltspunkte dafür sind dem Schreiben nicht zu entnehmen. Der Beklagte hat den Widerspruch zutreffend als unzulässig zurückgewiesen.
Der Leistungsantrag hingegen ist zulässig. Insbesondere kann der Kläger einen eigenen Zahlungsanspruch geltend machen.
II.
Die Zahlungsklage ist auch begründet.
1.
Der Anspruch ergibt sich aus § 4 Abs. 1 S. 4 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen ...